Michael Ballack zieht eine erste Bilanz zum Neustart in der deutschen Bundesliga. Auch für die nicht endenden Trainerdiskussion um Lucien Favre hat der 43-Jährige eine Erklärung.
Für Kaiserslautern, Bayer Leverkusen und Bayern München bestreitet Michael Ballack im Laufe seiner Karriere 267 Bundesliga-Spiele, viermal wird der Mann aus Görlitz deutscher Meister. Auch nach seinem Rücktritt im Juli 2012 verfolgt er das Geschehen genau – zuletzt aber nicht mehr mit derselben Begeisterung.
Grund für die etwas gedämpfte Vorfreude auf die anstehenden Partien sind die für den Moment fehlenden Zuschauer. «Der Fussball ist ein Paket, zu welchem Fans, die Atmosphäre, zweifelhafte Schiedsrichterentscheidungen und auch die Emotionen der Spieler dazugehören. All das erleben wir derzeit nur noch reduziert, was dem Gesamtprodukt die Attraktivität nimmt», erklärt Ballack im Gespräch mit «Sport1» und hält fest: «Geisterspiele sind keine Dauerlösung.»
Profitieren die «Trainingsweltmeister»?
Der 98-fache deutsche Nationalspieler ist überzeugt, dass sich die leeren Ränge auch auf die Kräfteverhältnisse auf dem Platz auswirken. «Für mich war klar, dass die individuell stärker besetzten Mannschaften einen Vorteil haben werden, wenn es ohne Zuschauer weitergeht», sagt Ballack. So sei ein Auswärtsspiel bei Union Berlin momentan angenehmer zu bestreiten, weil die Kulisse fehle. Und weil der FC Bayern das stärkste Kader habe, trete der Rekordmeister seit dem Restart auch so dominant auf.
Ballack kann sich zudem vorstellen, dass sich einige Spieler ohne die aufgeheizte Atmosphäre besser entfalten können. «Man merkt bei dem einen oder anderen Profi, dass Geisterspiele für ihn einen Trainingsspiel-Charakter haben. Der eine oder andere traut sich mehr zu, weil der Druck weniger ist, der sie oft gehemmt hat, wenn Zehntausende Zuschauer da sind.» Auch er habe zu seiner Aktivzeit solche Teamkollegen gehabt: «Diese sogenannten Trainingsweltmeister gab es früher schon. Im Training haben sie gezaubert, aber wenn es am Wochenende hart auf hart kam, hat man sie nicht gesehen.»
«Favre ist ein sachlicher Fachmann»
Zur nie abklingenden Trainerdiskussion um Lucien Favre in Dortmund hat Ballack seine eigene Theorie. «Die entscheidende Frage ist doch: Welcher Trainer kann beim BVB eine Mannschaft nicht nur weiterentwickeln, sondern auch aktuell mit tollem Fussball immer wieder emotionalisieren und diese Begeisterung im und um den Klub demonstrieren?», hinterfragt er. In Dortmund werde eine bestimmte Art Fussball gespielt, die dem BVB eine Identität verleihe.
Für Ballack entspricht Favres Auftreten dieser aber nur bedingt. «Favre ist nun mal kein Trainer wie Jürgen Klopp. Thomas Tuchel schon eher. Er war ein expressiver Typ, der auch mal vor der Kamera Emotionen gezeigt hat. Favre ist ein sachlicher Fachmann, der sehr ruhig wirkt, und den man kaum aus der Reserve locken kann. Menschen tun sich schwer, so einen Trainertypen zu greifen.» Umso entscheidender sei, dass der Verein dem Schweizer diesbezüglich den Rücken stärke. «Deswegen ist es ganz besonders wichtig, dass ein Trainer wie Favre besonders gestützt wird.»
Für Ballack hat der Schweizer seine Stärken in anderen Bereichen. «Er ist fachlich sehr gut, aber in der Aussendarstellung ruhig. Intern weiss man das, also muss man in Dortmund immer wieder Einigkeit und Überzeugung demonstrieren.» Ob Favre auch in Zukunft der richtige Trainer für die Borussia sei, will Ballack aber nicht entscheiden: «Nur die Verantwortlichen können beurteilen, ob ein Trainer passt oder nicht. Sie sind nah an der Mannschaft und spüren das.»