Im Gespräch mit Claudia Lässer gesteht Kevin-Prince Boateng, als Profi mit Depressionen und Dämonen gekämpft zu haben. Besonders während seiner Zeit in Monza erlebt der einstige Skandal-Kicker dunkle Stunden.
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
- Im Gespräch mit Claudia Lässer lässt Kevin-Prince Boateng tief blicken und gesteht, während seiner Karriere mit Depressionen gekämpft zu haben.
- Vor allem während seiner Zeit in Monza erlebt der 36-Jährige dunkle Stunden, als er sich für einen Monat in ein Zimmer sperrt und nicht duscht oder isst.
- Die psychischen Probleme erklärt sich Boateng mit seiner schwierigen Kindheit sowie Mechanismen des Fussball-Business.
Kevin-Prince Boateng nimmt in der Talkshow «Lässer» kein Blatt vor den Mund. «Ich bin durch Depressionen gegangen, davon wusste keiner», gesteht der im Sommer zurückgetretene Fussball-Star und schildert: «Ich hatte meine Dämonen, ich hatte meine Probleme, ich habe zu Hause geweint.»
Boateng schafft es, seine Probleme gegen aussen zu überspielen. Er bezeichnet sich deshalb als einen «sehr, sehr guten Schauspieler» und weiss selbst nicht, wie er in diesem Zustand Fussball auf Profi-Niveau spielen kann. Denn seine Depressionen nehmen vorübergehend drastische Ausmasse an.
In Trance im Auto
Besonders während der Zeit in Monza, wo Boateng zwischen Oktober 2020 und Mai 2021 insgesamt 25 Spiele in der Serie B bestreitet, erlebt Boateng dunkle Stunden. «Du bist leer. Du hast nichts mehr zu geben und ich hatte nichts mehr zu geben», erinnert sich der 15-fache ghanaische Nationalspieler an die enorm schwierige Zeit. «In Trance bin ich manchmal Auto gefahren und wusste nicht, wie ich angekommen bin. Ich hatte Zeit mit meinem Sohn, aber wusste nicht was, ich mit ihm anfangen soll, weil ich einfach nur leer war.»
Der zweifache Vater zieht daraufhin die Notbremse. «Ich habe mich für mehr als einen Monat in ein Zimmer gesperrt. Ich habe nicht geduscht, nichts gegessen, ganz wenig Wasser getrunken, bin nicht aufgestanden. Dann geht dir dein ganzes Leben durch den Kopf», schildert Boateng. Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen?
Boateng sieht den Ursprung seiner mentalen Probleme in jungen Jahren. «Mein Papa war nicht oft da, meine Mama hatte ihre Probleme. Wir sind zu fünft in einem Zimmer aufgewachsen.» Auch das Geld ist knapp. «Ich bin manchmal bei Kumpels essen gegangen», so der 36-Jährige, der im Berliner Stadtteil Wedding aufwächst. «Es prallen viele Nationen, viele Kulturen aufeinander. Es gab Gangs.»
Der ältere Bruder als Vaterfigur
Erst im Alter von 15 oder 16 Jahren wird Boateng bewusst, dass solche Verhältnisse «nicht normal waren. Und dann fängt es an, weh zu tun.» Während seine Teamkollegen von den Eltern zum Training gefahren und wieder abgeholt werden, ist Kevin-Prince allein mit der S-Bahn unterwegs. Und weil sein Vater als DJ und Model oft unterwegs ist, avanciert der ältere Bruder für Boateng immer mehr zur Vaterfigur: «In seinem Wissen, in seiner Kraft, die er hatte, hat er mich schon mit erzogen.»
Boateng sucht im Fussball nach Halt. Doch auch das Fussball-Business birgt seine Tücken. «Du lebst in dieser Fussball-Bubble, wo du nie Wertschätzung hast für die normalen Sachen, was vielen Jungspielern heute passiert. Du vergisst, was wirklich wichtig ist im Leben und verletzt sehr viele Menschen, bist selber verletzt», macht der einstige Hertha-Junior klar.
Boateng trotzt all den Widrigkeiten und wird während seiner Karriere stets von seinen Kritikern angetrieben. «Ich wollte den Leuten beweisen, dass sie im Unrecht sind, dass sie mich nicht kennen, dass sie nicht wissen, wie viel Kraft ich habe und was ich erreichen kann.» Das gelingt ihm auch. «Wenn man sich überlegt, dass ein Junge aus Berlin-Wedding bei AC Milan, Barcelona, Tottenham gespielt hat, dann ist es Beweis genug», findet Boateng.
Das Problem der Fussballer
Nur: Seinen Erfolg kann er während seiner Aktivzeit nie wirklich geniessen. «Das ist das Problem bei uns Fussballern. Wir geniessen diesen Moment nicht so. Du lebst nicht im Moment, du lebst schon für morgen», sagt Boateng, der weiss, von was er spricht.
In seiner Laufbahn läuft er für ganze 14 Klubs in fünf unterschiedlichen Ländern auf. «Wenn ich jetzt zurückgucke, frage ich mich, warum ich diese Kabinen-Momente bei Milan, Barcelona oder Tottenham nicht mehr gelebt habe», gibt Boateng zu. Auch die Erinnerungen an den Pokalsieg 2018 mit Eintracht Frankfurt, der wohl emotionalste Moment seiner Karriere, sind nur schwach: «Das ist traurig. Ich kann ich mich an den ganzen Tag fast gar nicht erinnern.»
Boateng erklärt, dass man im schnelllebigen Fussballgeschäft stets immer mehr wolle. «Man strebt immer schon das Nächste an, es ist wie eine Droge. Immer der nächste Kick», sagt Boateng. Das habe sich seit seinem Karriereende drastisch geändert: «Ich lebe jeden Moment so, als ob es der letzte ist.»
Ohnehin macht Boateng in den letzten Monaten einen grossen Wandel durch und lernt sich und seine Mitmenschen neu kennen. Vor allem auch die Beziehung zu seinen Kindern und Ex-Frauen hat sich verändert. Die Gründe dafür erfährst du in Teil 3 des Interviews am Samstag – oder in der ganzen Sendung im Video unten. Auf blue Zoom wird die Sendung am Samstag um 20 Uhr erstmals gezeigt.
Die ganze Sendung im Video
Hast du oder hat jemand, den du kennst, eine psychische Erkrankung? Hier findest du Hilfe:
- Pro Mente Sana, Telefon 0848 800 858
- Kinderseele Schweiz, Beratung für psychisch belastete Eltern und ihre Angehörigen
- Verein Postpartale Depression, Telefon 044 720 25 55
- Angehörige.ch, Beratung und Anlaufstellen
- VASK, regionale Vereine für Angehörige
- Stiftung Selbsthilfe Schweiz, Koordinations- und Dienstleistungsstelle der regionalen Selbsthilfezentren
- Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Telefon 147
- Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Telefon 143
- Angst- und Panikhilfe Schweiz, Telefon 0848 801 109