Kommentar BVB feiert Transfer-Coup – Favre kann einem nur leid tun

Von Patrick Lämmle

20.7.2020

Wird Jude Bellingham unter Lucien Favre einschlagen?
Wird Jude Bellingham unter Lucien Favre einschlagen?
Bild: Getty

Dortmund gewinnt das Tauziehen um Supertalent Jude Bellingham. Der 17-Jährige wird empfangen wie ein Heilsbringer, dabei hat er noch nicht ein einziges Erstligaspiel bestritten. Lucien Favre ist nicht zu beneiden.

Natürlich sind es gute Neuigkeiten für Trainer Lucien Favre, dass er einen Rohdiamanten wie Bellingham in seinem Kader begrüssen darf. Zumindest auf den ersten Blick. Denn eins ist auch klar: Die überhöhten Erwartungen (nur der Meistertitel zählt) werden nach diesem umjubelten Transfer nicht kleiner. Auch die Bayern bekundeten angeblich Interesse am Jungspund.

Manager Michael Zorc meint nach der Bekanntgabe des Transfers: «Wir sehen in Jude auf Anhieb eine Verstärkung für unseren Profi-Kader, werden ihm zunächst natürlich aber auch die Zeit zur Gewöhnung an das höhere Niveau geben, die er benötigt.» Auf Bellingham, der sich nicht nur an das höhere Niveau, sondern auch an das neue Land, die neue Sprache, die neue Liga und das komplett neue Umfeld gewöhnen muss, mag das zutreffen. Der Trainer hat diese Zeit im Normalfall nicht, schon gar nicht Lucien Favre, der Dortmund in seinem dritten Jahr als Chefcoach zum Titel führen soll.



Wird der BVB nicht ganz vorne mitmischen, wird der Schweizer die kommende Spielzeit kaum überleben, dafür stand er in seinen ersten beiden Jahren bereits zu oft im Kreuzfeuer. Zu Unrecht, wie wir meinen. Der BVB hat zwar einen starken Kader, jener von Bayern München ist und war aber stärker. Und deshalb bleiben die Bayern auch in der kommenden Spielzeit Meisterkandidat Nummer eins. Nur scheint das kaum jemand wahrhaben zu wollen. Zu gross ist vielerorts wohl die Sehnsucht nach einem neuen Meister, nachdem Bayern in diesem Jahr bereits zum achten Mal in Folge den Titel eingeheimst hat.

Es gibt keine Garantie, dass Bellingham einschlagen wird

Bellingham mag ein begnadeter Kicker sein, vielleicht ist der 17-Jährige auch tatsächlich eines der grössten Fussball-Talente überhaupt. Doch es gibt absolut keine Garantie, dass er auf Anhieb einschlagen wird. Der zentrale Mittelfeldspieler gab sein Profi-Debüt für Birmingham mit 16 Jahren und 38 Tagen im August 2019 – in der zweithöchsten Liga auf der Insel. Und nun soll er für Dortmund auf Anhieb eine Verstärkung sein? Und das auf einer Position, die beim BVB ohnehin schon hochkarätig besetzt ist?

Eins ist aber gewiss: Wenn einer junge Spieler besser machen kann, dann Lucien Favre. Bleibt zu hoffen, dass er die Zeit bekommt, den talentierten Teenager auf das nächste Level zu hieven. Sodass er eines Tages tatsächlich die erhoffte Verstärkung ist. Bloss wird er dann möglicherweise, wie so viele Talente vor ihm, das Weite suchen. Denn im Gegensatz zu den Bayern betrachten viele junge Spieler den BVB bloss als Sprungbrett nach ganz oben – sie machen daraus nicht einmal einen Hehl. Erling Haaland etwa hat sich auch schon in die Richtung geäussert, dass er von Real Madrid träumt.

Solange sich an diesem strukturellen Problem nichts ändert, wird es für Dortmund unheimlich schwierig sein, den Bayern auf Augenhöhe zu begegnen. Und mal ehrlich: Hätten Sie als Trainer nicht auch lieber einen Leroy Sané (wechselte in dieser Transferperiode von Manchester City zu Bayern München) «geschenkt» bekommen als einen Bellingham? 

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