Christian Eriksen will nach seinem Zusammenbruch bei der EM zur WM nach Katar. Doch um für die starke dänische Nationalmannschaft eine Alternative darzustellen, muss er Spielpraxis auf Topniveau sammeln. Die Suche nach einem geeigneten Verein läuft auf Hochtouren.
Er war das Schaltzentrum der dänischen Nationalelf und deren wohl wichtigster Feldspieler – jetzt muss sich Christian Eriksen vor der WM in Katar für die Landesauswahl erst wieder neu empfehlen. Knapp sieben Monate nach dem dramatischen Zusammenbruch im EM-Gruppenspiel gegen Finnland arbeitet der Mittelfeldspieler fleissig an seinem Comeback.
Der Vertrag mit Inter Mailand wurde aufgelöst, weil er in Italien mit einem eingesetzten Defibrillator nicht spielen darf. Wohin die Reise für den 109-fachen Nationalspieler nun geht? Das ist weniger als elf Monate vor der Weltmeisterschaft noch unklar. Zuletzt hielt sich Eriksen beim FC Chiasso fit, ein Engagement beim Tessiner Promotion-League-Klub ist aber natürlich undenkbar.
«Mein Ziel ist es, bei der WM in Katar dabei zu sein. Ich will spielen.» Diese Worte aus Eriksens erstem Interview seit dem Kollaps lassen keinen Zweifel daran, dass der 29-Jährige zurück auf die grosse Fussballbühne will. Doch auch ihm ist bewusst, dass der Weg nach Monaten ohne Spielpraxis ein weiter ist. «Es ist ein Ziel, ein Traum. Ob ich dann nominiert werde, ist eine andere Sache. Aber es ist mein Traum, zurückzukommen», bekräftigte er in dem Interview, das der dänische Rundfunksender DR vor wenigen Tagen veröffentlicht hatte. Körperlich sei er in Topform. Und: «Mein Herz ist kein Hindernis.»
«Ich dachte, ich werde nie mehr spielen»
Rückblende zum 12. Juni 2021. Erstmals in ihrer Fussballgeschichte spielt die dänische Männer-Nationalmannschaft bei einer EM im eigenen Land. Alle drei dänischen Gruppenspiele finden im Kopenhagener Parken-Stadion statt, das erste davon gegen Underdog Finnland. Knapp drei Jahrzehnte nach dem Überraschungscoup 1992 träumen die Dänen vom erneuten EM-Titel. Eriksen fühlt sich ausgezeichnet, singt gemeinsam mit Tausenden Fans die dänische Nationalhymne.
In der 43. Minute passiert das EM-Drama. Nach einem Einwurf fällt Eriksen urplötzlich vorwärts auf den Boden und bleibt leblos liegen. Das Herz des Mannschaftskollegen des Ex-Dortmunders Thomas Delaney, von Leipzig-Stürmer Yussuf Poulsen und mehreren anderen Dänen mit Bundesliga-Erfahrung ist ohne Vorwarnung einfach so stehengeblieben.
Die herbeigeeilten Rettungskräfte schaffen es, Eriksen wiederzubeleben und ihm das Leben zu retten, während sich sein Team schützend um ihn und die Nothelfer stellt. Die Zuschauer im Stadion, die Spieler um Dänen-Kapitän Simon Kjær, Eriksens Familie und Millionen Fans daheim erhalten nach zehrenden Minuten die erlösende Botschaft: Eriksen ist wieder bei Bewusstsein. Kurz darauf kann seine Mannschaft mit ihm facetimen, die letzten 20 Minuten der Partie verfolgt er schon wieder im Krankenhausbett. Später wird ihm ein Defibrillator eingesetzt, der im Notfall Schocks aussenden kann.
Seine eigene Fussballkarriere hatte Eriksen für einen Moment bereits abgeschrieben. «Im Rettungswagen dachte ich: Behaltet meine Schuhe. Es ist vorbei. Ich werde keinen Fussball mehr spielen», sagte er in dem DR-Interview. Nach Monaten der Ruhe mit der Familie und des begonnenen Aufbautrainings bei seinem Jugendverein Odense BK ist für ihn aber klar, dass es weitergehen soll – und zwar auf Spitzenniveau, damit er sich für die starke dänische Nationalelf empfehlen kann.
Hjulmand schliesst Nati-Rückkehr nicht aus
Nationaltrainer Kasper Hjulmand würde es freuen, wenn es der mehrmalige dänische Fussballer des Jahres zurück ins Team schafft. Mit alter Klasse könne er in allen Mannschaften der Welt spielen – auch in der dänischen Nationalelf, sagte der frühere Mainz-Coach. «Alle Mannschaften, die Christian Eriksen in Topform auf dem Platz haben, haben einen Spieler, auf den man sich verlassen kann, einen Spieler auf absolut höchstem europäischen Niveau auf dieser Position.»
Das nächste Mal trommelt Hjulmand die Dänen-Auswahl planmässig vom 21. bis 29. März zusammen. Wenn Eriksen sich bis dahin anbieten will, muss er schnellstmöglich einen neuen Verein finden und dort zu seinem Spitzenniveau zurückfinden.
Eriksen stammt aus der dänischen Kleinstadt Middelfart, wechselte in der Jugend nach Odense und von dort als 16-Jähriger weiter zu Ajax Amsterdam, wo er von 2011 bis 2013 dreimal niederländischer Meister wurde. Dann folgte der Wechsel in die Premier League zu Tottenham Hotspur. Mit Inter wurde Eriksen 2021 italienischer Meister.
Rückkehr zu Ajax oder Tottenham?
Nun ist der Däne vereinslos – «arbeitslos zum ersten Mal in meinem Leben», wie er sagt. Vor einem Jahr hätten Topclubs vermutlich Schlange gestanden bei der Aussicht, ihn in dieser Situation unter Vertrag zu nehmen. Und jetzt? «Wir werden als Familie eine Entscheidung treffen», sagte Eriksen bloss.
Sein Berater liess schon im Dezember durchblicken, dass mehrere Clubs angeklopft hätten. Viele halten eine Rückkehr zu Ajax oder den Spurs für eine mögliche Option. Der Fussballexperte des dänischen Senders TV2, Mads Junker, hat darüber hinaus noch drei weitere Vereine auf dem Zettel: Paris Saint-Germain, Newcastle United – und den FC Bayern. Eriksen könnte das zentrale Mittelfeld der Münchner stärken, wo Joshua Kimmich und Leon Goretzka kaum Konkurrenz hätten, orakelte Junker. Eriksen also bald erstmals in der Bundesliga? Abwarten.