Mit drei Niederlagen gestartet, mit drei Siegen aufgehört: Die Schweizer Nationalmannschaft meistert den Kurswechsel in der Nations League mit summa cum laude.
Die Mannschaft von Murat Yakin wird im November im Stimmungshoch zur WM nach Katar reisen. Die letzten Spiele in der Nations League lieferten dem Nationaltrainer eine Reihe wertvoller Rückschlüsse, und die meisten davon waren erfreulich. Vor allem erhielt Yakin die Gewissheit, dass seine Mannschaft sowohl gegen Gegner wie Spanien als auch gegen solche wie Tschechien bestehen kann und das Binnenklima aussergewöhnlich gut ist. Nebenbei sicherte sich die Schweiz als bester Gruppendritter für die nächste EM-Qualifikation einen Platz im ersten Lostopf, was weit mehr als ein nettes Supplément ist.
Der Kurs stimmt
Es hätte ganz anders kommen können, tat es aber nicht. Mit Niederlagen gegen Tschechien, Portugal und Spanien in die Nations League gestartet und als Gruppenletzter in die letzten Partien gestiegen, drohte ein Vor-WM-Kater. Stattdessen riss das Nationalteam das Ruder abgezockt herum und tankte zwei Monate vor der WM ordentlich Selbstvertrauen – ganz im Gegensatz zu grossen Nationen wie England (Abstieg aus der A-Liga), Frankreich und Deutschland (beide magerer 3. Platz und mit nur einem Sieg aus sechs Spielen).
«Wir sind einer tollen Phase. Die meisten sind fit und gut in Form», hielt Yakin erfreut fest. Elf der zwölf in den fast identischen Startformationen eingesetzten Spieler sind in ihren Klubs Stammspieler. Einzig Ruben Vargas, der im Schweizer Dress dennoch überzeugte, muss sich bei Augsburg seit einer Verletzung mit der Joker-Rolle abfinden. In den kommenden Wochen geht es für das Gros von Yakins Stamm in ihren Vereinen darum, gesund und fit zu bleiben.
Teamspirit, Reife, Flexibilität
Beim glücklichen 2:1 gegen Tschechien war am Dienstagabend in St. Gallen nicht alles gut. Aber das Resultat stimmte. Das spricht für die Reife, mit der die Schweizer Nationalmannschaft inzwischen auftritt. Hätte sich Nationaltrainer Murat Yakin ausmalen können, wie er seine Spieler in die letzten Wochen mit ihren Klubs vor der WM entlässt – ziemlich genau so hätte sein Bild ausgesehen. Die Spieler werden im November mit breiter Brust nach Katar einrücken.
«Es war unglaublich wichtig, dass wir uns nach dem Fehlstart gefangen haben. Das gibt uns das Selbstvertrauen zurück und ein sehr gutes Gefühl», sagte Yann Sommer, während Yakin von einem rundum gelungenen Zusammenzug sprach. «Das war der zweite optimale Zusammenzug in meiner Amtszeit neben jenem im letzten Oktober.» Es sei eine reife, konzentrierte Trainingswoche gewesen, alles sei aufgegangen. «Die Mannschaft hat einen tollen Teamspirit», so Yakin.
Mit den auf ganz unterschiedliche Weise zustande gekommenen Siegen gegen Spanien und Tschechien demonstrierte das erfahrene und über Jahre zusammengewachsene Nationalteam seine Anpassungsfähigkeit. Beim 2:1 in Saragossa zeigte die Mannschaft, dass sie inzwischen weiss, wie sie auch gegen hochkarätige Gegner bestehen kann: nicht nur mit dem bevorzugten schönen Ballbesitz- und Offensivfussball, sondern vor allem mit der Bereitschaft zur «Drecksarbeit» – mit mannschaftlicher Geschlossenheit, maximaler Laufbereitschaft und einem guten Gespür für die richtige Balance zwischen Defensive und Offensive.
Das WM-Gerüst steht
Zwei Monate vor der WM gibt es in Bezug auf die mögliche Startformation kaum mehr Fragezeichen. Das Gerüst mit dem seit Wochen auf Weltklasse-Niveau haltenden Yann Sommer ganz hinten, Djibril Sow vor oder neben Remo Freuler und Granit Xhaka im zentralen Mittelfeld und Breel Embolo ganz vorne steht. Noah Okafor ist eine weitere Option für den Sturm, der verpasste Zusammenzug und die starken Auftritte der Schweiz in seiner Abwesenheit sind sein Pech.
Auf der linken Abwehrseite ist der so zuverlässige Ricardo Rodriguez nach einer kleinen Delle wieder nicht mehr wegzudenken. Aus guten Gründen bezeichnete Yakin den 30-Jährigen, der gegen Tschechien als dritter Spieler der aktuellen Mannschaft nach Xherdan Shaqiri und Granit Xhaka und als siebter Schweizer insgesamt die Marke von 100 Länderspielen erreichte, als «unersetzbar».
Zu den Fixpunkten gehört auch Manuel Akanji. Dass der Innenverteidiger von Manchester City gegen Tschechien wegen einer Gelbsperre fehlte, machte sich an der Vielzahl der gegnerischen Torchancen bemerkbar. Fabian Schär leitete zwar mit einem Vorpreschen und dem Pass zu Shaqiri das 1:0 von Remo Freuler ein. Die drei Pfosten- und Lattentreffer, der von Sommer gehaltene Foulpenalty, das Gegentor und weitere gefährliche Szenen der Tschechen zeugten aber von der erhöhten Durchlässigkeit, die nicht allein der offensiveren Spielweise geschuldet war.
Sorgenfall Seferovic, Sonderfall Shaqiri
Unsicherheit besteht aktuell primär wegen Haris Seferovic, der auf Klubebene in diesem Kalenderjahr in Pflichtspielen noch ohne Torerfolg ist und seinen Stammplatz bei Galatasaray eingebüsst hat. Gegen Spanien und Tschechien kam Seferovic nur als Joker zum Einsatz, während sich Embolo für den Platz im Mittelsturm aufdrängte.
Xherdan Shaqiri deutete an, dass sein Wechsel nach Chicago in die wenig kompetitive US-Profiliga MLS für das Nationalteam kein Hindernis sein muss. Von Yakin aus dem bevorzugten Zentrum auf den rechten Flügel beordert, machte der 108-fache Internationale seine Sache mit Ausnahme von ein paar defensiven Nachlässigkeiten gegen Tschechien sehr gut. Allerdings wird ihm ab dem 10. Oktober wegen des Saisonendes mit Chicago die Wettkampfpraxis fehlen...
Was ebenfalls bleibt, ist die Frage nach der ausreichenden Breite. Yakin liess in diesen Tagen wiederholt durchsickern, dass dies ein Schwachpunkt sein könnte. Die Quintessenz seiner Erklärung für den Kontrast zwischen den Niederlagen am Anfang und den Siegen am Schluss lautete: Die Schweiz kann jeden Gegner schlagen – aber nur, wenn (fast) alle Leistungsträger an Bord gesund und fit sind.
sda