Die Schwalbe. Für viele ein Graus, eine Widrigkeit, die nicht auf den Fussballplatz gehört. Ein schändlicher Akt, der bestraft und mithilfe von Video-Schiedsrichtern und angedrohten Spielsperren bekämpft werden muss. Leider.
Raheem Sterling, meine Damen und Herren.
Ein Strauchler und schon steht England im EM-Finale. Zum ersten Mal in der Geschichte notabene. Zu verdanken hat die Fussballinsel ihre wilde Partynacht einzig und alleine dem Flügelflitzer von Manchester City, dessen Theater-Einlage sogar mit VAR klappt. Hut ab. Eine wahrhaftige Meisterleistung.
Denn eine richtige Schwalbe ist keine Widrigkeit. Sie ist ein Kunstwerk. Eine Kombination aus fussballerischer Klasse und schauspielerischer Begabung, die nur wenigen Ausnahmekönnern in den Schoss gelegt wurde. Sie ist wie die dunkle Seite der Macht: bewundernswert, notwendig und verdammt schwierig zu beherrschen.
Vielleicht hilft etwas Präzisierung: Eine Schwalbe ist kein imposanter Taucher, auf den siebenundzwanzig von Schreien begleitete Turnübungen folgen – das wäre eine Widrigkeit. Eine Schwalbe ist eine geschickte Täuschung, ein geplanter, taktischer Schachzug, der dem eigenen Team den entscheidenden Vorteil bringen und den Gegner zur Weissglut treiben soll.
Die perfekte Schwalbe
Für eine fehlerlose Schwalbe müssen folgende Faktoren beachtet werden:
Die Positionierung
Ganz wichtig bei der Schwalbe ist die Position des Schiedsrichters. Diese sollte dem simulierenden Spieler genau bewusst sein, bevor er zu seinem Kunststück ansetzt. Je mehr Spieler zwischen dem Ball und dem Schiedsrichter sind – und so dessen Sicht behindern –, desto besser. Zudem gilt zu beachten, dass sich der Gegenspieler, der zum Opfer der Schwalbe werden soll, zwischen dem Künstler und dem Unparteiischen befindet. So können die Sichtverhältnisse zusätzlich verschlechtert werden.
Situationsabhängige Erscheinungen wie Pyro-Rauch aus dem Gästeblock oder ungebetene Gäste auf dem Spielfeld können zusätzlich für Ablenkung sorgen und ebenfalls hilfreich sein.
Die Bewegung
Eine natürliche Bewegung ist der Schlüssel zum Erfolg. Damit es nicht künstlich aussieht, muss ein echter Sturz erfolgen. Zimperlichkeit wäre hier der falsche Ansatz, eine ordentliche Schwalbe kann also durchaus zu kleineren Blessuren, Kratzern oder Schürfungen führen. Aber schliesslich ist Fussball ja ein Sport für «echte Männer».
Der Schrei
Der Schrei wird oft unterschätzt, ist aber «matchentscheidend». Nicht selten kommen beim Schiedsrichter durch einen zu hohen, schrillen Aufschrei Zweifel auf. Das muss verhindert werden. Allerdings darf auf keinen Fall auf den Schrei – der fester Bestandteil des Kunstwerks ist – verzichtet werden. Hier kann es hilfreich sein, sich im richtigen Moment und im toten Winkel des Schiedsrichters, selber zu verletzen. Der Biss auf die Zunge gilt als bewährtes Mittel.
Der Kontakt
Eine der wichtigsten Regeln der Schwalbe ist, dass es keinen Kontakt gibt, nicht einmal den allerkleinsten. Jegliche Berührung des Gegners während der Ausführung zerstört das Kunstwerk und lässt es zum ganz normalen Foul, oder noch schlimmer, zum «gesuchten Foul» werden.
Das Timing
Simpel. Es muss perfekt sein. Und zwar absolut perfekt. Der Körper muss sich genau in dem Moment bewegen, in dem er sich bewegen würde, wenn er tatsächlich getroffen worden wäre. Wichtig dabei ist es, die Bewegungen des Gegenspielers genau zu beobachten und sich selber synchron abzustimmen. Es gilt der Grundsatz: Für eine richtige Schwalbe braucht es immer zwei Spieler.
Die verschiedenen Schwalben-Typen
Es gibt unzählige Arten von Schwalben, folgende drei gehören aber zu den mit Abstand beliebtesten und sind in der Umsetzung am einfachsten:
▶ Der sterbende Schwan
Ein absoluter Klassiker. Beim «sterbenden Schwan» ist die Theatralik besonders wichtig. Es wird versucht, den Schiedsrichter durch eine möglichst natürliche Bewegung zu täuschen. Gerne werden dabei die Arme verworfen und der Künstler hebt etwas vom Boden ab, bevor er fällt.
▶ Die erschossene Gazelle
Vielleicht die wasserdichteste Schwalbe. Der ballführende Spieler schiebt die Kugel dabei zwischen zwei Gegenspielern hindurch und tänzelt anschliessend wie eine Gazelle durch die sich schliessende Lücke. Auf halbem Weg simuliert der Künstler dann einen Gewehrschuss und lässt sich auf der anderen Seite hart zu Boden fallen. Anschliessend ist Totstellen angesagt, denn bei dieser Variante werden gleich zwei Spieler gegen einen aufgebracht.
▶ Der leblose Gefangene
Das Prunkstück der Elfmeter-Schwalbe. Wenn im Strafraum angewendet, führt der «leblose Gefangene» fast immer zu einem Penalty. Der Künstler wartet dabei während der Ballannahme auf eine Umarmung des Gegners. Sobald diese erfolgt, drückt er mit seinem Rücken den Oberkörper des Kontrahenten ein wenig nach hinten und lässt das ganze Gewicht auf die nun nach vorne abstehenden Oberschenkel des Umarmenden sinken. So kommen beide Spieler rückwärts zu Fall und dem Schiedsrichter bleibt keine Wahl.
Eine Ode an die Schwalbe
Wenn der Gegner dich umklammert,
ist das kurz bevor er jammert.
Spürst du Hände um die Hüfte,
lass dich fallen durch die Lüfte.
Steh’n Beine dir im Weg,
bedank dich für das Privileg.
Jetzt schmeiss die Arme in die Höh'
und lass dich tragen von der Bö.
Vor dem Fall ein kurzer Schrei,
schon vorbei die Hexerei.
Sofort aufsteh’n ist verboten,
ob des Richters schlechter Noten.
Bleib also ruhig etwas liegen,
und du wirst den Elfer kriegen.
tbz