Der Suizid von Robert Enke vor elf Jahren schockiert die ganze Sportwelt. Seine Frau Teresa Enke kämpft seitdem um Aufklärung über die Volkskrankheit Depression.
Anmerkung der Redaktion: Dieser Bericht wurde in einer ähnlichen Form bereits letztes Jahr publiziert.
Wie eine Schockwelle erfasst die Nachricht von Robert Enkes Suizid vor elf Jahren beinahe ganz Deutschland. Sein Tod erschüttert und verstört die Menschen, ist für viele unfassbar und unwirklich. Am 10. November 2009 setzt der 32-Jährige seinem Leben an einem Bahnübergang in Elversen ein Ende. Noch zwei Tage zuvor hatte er – Deutschlands angehende Nummer eins für die WM 2010 –, beim 2:2 von Hannover 96 gegen den Hamburger SV im Tor gestanden.
Seine letzten Worte im TV-Interview erhalten plötzlich eine eigene Deutung: «Es ist okay so. Es ist alles gesagt.» Dabei geht es nur um die anstehenden Länderspiele gegen Chile und die Elfenbeinküste, bei denen er nach Absprache nicht dabei ist.
Die drängende Frage nach dem Warum seines Suizids beantwortet Teresa Enke keine 24 Stunden nach der Tragödie. In einer Pressekonferenz berichtet sie über die Depressionen ihres Mannes, seine Seelenqual, seine Ängste vor Entdeckung, vor Versagen. Sie spricht von seiner Furcht, dass ihnen wegen seiner Krankheit die neun Monate alte Adoptivtochter Leila weggenommen werden könnte. «Wir dachten halt auch, mit Liebe geht das. Aber man schafft es doch nicht immer», sagt sie vor den Kameras – und rührt die Menschen.
«Fussball ist nicht alles»
Was in den Tagen nach Robert Enkes Tod passiert, ist für die deutsche Sportwelt einmalig. Das DFB-Team erfährt vom Unglück in seinem Quartier in Bonn. Das Länderspiel gegen Chile wird abgesagt. Teammanager Oliver Bierhoff bricht bei einer Pressekonferenz in Tränen aus.
Im Stadion von Hannover 96 nehmen an einem Herbstsonntag fast 40'000 Menschen in einer Trauerfeier Abschied von ihm. Die Trauerfeier ist die grösste seit dem Tod des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer 1967. Der damalige DFB-Präsident Theo Zwanziger hält eine viel beachtete Rede. Seine Mahnung ist deutlich: «Fussball ist nicht alles.»
Robert Enke wird zum Helden verklärt. Hartnäckig hält sich bis heute das Bild von dem Mann, der am gnadenlosen System Profifussball zugrunde geht. Gegen diesen Mythos setzt Teresa Enke von Beginn an einen Gegenentwurf.
Es sei nicht der Fussball gewesen, «der ihn kaputtgemacht hat», sagt sie und betont auch heute: «Er war kein unglücklicher Mensch. Er hatte seine Krankheit, seine depressiven Phasen. Und er war vielleicht auch kein extrovertierter Mensch. Aber er war trotzdem ein lustiger Geselle und jemand, mit dem man viel Spass haben konnte.»
Beide suchten nie das Rampenlicht
Für ihre Haltung wird Teresa Enke damals wie heute bewundert – eine Frau, deren Mann tragisch stirbt und die schon drei Jahre zuvor mit dem Tod ihrer zweijährigen Tochter Lara einen ersten Schicksalsschlag hinnehmen muss. Ein Jahr nach der Pressekonferenz erhält sie den Leibniz-Ring des Presseclubs Hannover für ihren Auftritt. «Ich wurde auf einen Sockel gestellt, den ich mir selbst gar nicht zugesprochen hätte», sagt sie rückblickend. Sie sei gar nicht so stark gewesen.
Letztlich war sie einfach eine Witwe, die um ihren Mann trauerte. Teresa Enke entsprach dem heute gängigen Klischee einer Spielerfrau ebenso wenig wie Robert Enke dem des glamourösen Stars. Beide suchten nie das Rampenlicht, lebten zurückgezogen auf dem umgebauten Bauernhof in Empede bei Hannover.
Ein wichtiger Schritt für ihre persönliche Trauerarbeit ist 2010 die Gründung der Robert-Enke-Stiftung. Träger sind der DFB, die Deutsche Fussball Liga und Hannover 96. Sie wird Vorstandschefin und ist bis heute das Gesicht der Stiftung. Sie gibt Interviews, bemüht sich um Aufklärung über die längst als Volkskrankheit eingestufte Depression.
Sie habe den Vorteil gegenüber anderen mit einem ähnlichen Schicksal, dass ihr Mann immer noch präsent sei – auch für ihre Tochter Leila. «Robbi ist immer noch ein grosser Bestandteil meines Lebens», sagt sie. Die Medien und die Menschen denken an ihn. «Damit kann man leichter leben, weil man weiss, dass der Mensch nicht in Vergessenheit gerät.»
Teresa Enke glaubt, dass sich nach dem Tod ihres Mannes der öffentliche Umgang mit der Krankheit im Allgemeinen verändert hat. «Das ist ein grosses und mittlerweile auch öffentliches Thema geworden.» Der Fussball habe sich nicht geändert und werde sich nicht ändern, räumt sie ein. «Aber: Es gibt mittlerweile Netzwerke. Es gibt 70 Sportpsychiater in ganz Deutschland. Wenn ein Sportler erkrankt ist, dann gibt es überall Anlaufstellen.»
«Keine Trübsal blasen, sondern lustige Geschichten erzählen»
Für Teresa Enke sind der Tod ihres Mannes und der ihrer ersten Tochter die Themen ihres Lebens geworden. Auf ihrem rechten Unterarm hat sie sich gross den Namen Robbi, am Oberarm den Namen Lara tätowieren lassen.
Am Todestag werden ihre Familie, Freunde und Robert Enkes Mutter nach Hannover kommen. Sie wolle diesen Tag nicht so besonders machen, sagt sie. Sie würden auch «keine Trübsal blasen, sondern uns erinnern und auch lustige Geschichten erzählen». Sie stelle sich dann vor, ihr Mann sitze neben Lara, ihrem Bruder und ihrem Vater. Sie gucken zu ihnen runter und ihnen gehe es gut. «Diese kindliche Vorstellung habe ich noch.»
Diese Stellen sind rund um die Uhr für Menschen in suizidalen Krisen und für ihr Umfeld da:
Beratungstelefon der Dargebotenen Hand: Telefon 143 www.143.ch
Beratungstelefon von Pro Juventute (für Kinder und Jugendliche): Telefon 147 www.147.ch
Weitere Adressen und Informationen: www.reden-kann-retten.ch
Adressen für Menschen, die jemanden durch Suizid verloren haben:
Refugium – Verein für Hinterbliebene nach Suizid: www.verein-refugium.ch Nebelmeer – Perspektiven nach dem Suizid eines Elternteils: www.nebelmeer.net