Sportstars mit Handicap Garrincha: Genialer Dribbler mit einem X- und einem O-Bein

von Patrick Lämmle

20.5.2020

Pelé und Garrincha, ein unbesiegbares Duo: Standen sie in der brasilianischen Nationalmannschaft gemeinsam auf dem Platz, ging kein Spiel verloren.
Pelé und Garrincha, ein unbesiegbares Duo: Standen sie in der brasilianischen Nationalmannschaft gemeinsam auf dem Platz, ging kein Spiel verloren.
Bild: Getty

In einer mehrteiligen Serie erzählt «Bluewin» die Geschichten von Sportlern, die es trotz eines Handicaps weit gebracht haben. Teil 2: Garrincha.

Mané Garrincha war zweifacher Weltmeister mit Brasilien und gilt – zumindest bei Fussballfans älterer Generationen – bis heute als einer der Grössten aller Zeiten. Doch nach seiner Karriere ging es steil bergab und so ist er bereits im Alter von 49 Jahren verstorben.

Ein Garrincha-Graffiti in Rio de Janeiro.
Ein Garrincha-Graffiti in Rio de Janeiro.
Bild: Getty

Garrincha fiel nur schon wegen seiner krummen Beine auf, zudem war das eine sechs Zentimeter länger als das andere. Man hatte immer das Gefühl, er könnte in jedem Moment das Gleichgewicht verlieren, doch das tat er nie, ausser wenn ihn die Gegner umgespitzt hatten. Weil er von Geburt an ein O- und ein X-Bein hatte, nannten sie ihn «Engel der krummen Beine». Wegen der Leichtigkeit seines Spiels nannten sie ihn auch «kleiner Vogel» und später als er erfolgreich wurde «Freude des Volkes».

Der «Engel der krummen Beine» liebte es, seine Gegner zu narren. Hatte er einen Spieler vernascht, so wartete er manchmal, damit ihn der Verteidiger wieder einholt, nur damit er ihn noch ein zweites Mal umkurven konnte. Er war ein «Malandro», ein Schlitzohr, ein Schlingel – eine Figur, die man im brasilianischen Fussball liebt.

1962 wurde er zum Volkshelden

In Brasilien sagt man, Pelé werde zwar geschätzt und verehrt, vergöttert aber werde allein «Mané» Garrincha. Sein Stern ging bei der WM 1958 auf. Er zeigte Tricks und Finten, die man so noch nicht gesehen hatte und machte intuitiv Dinge, die andere Spieler über Jahre einstudieren müssten. Nach dem Titelgewinn war er ein Star, zum Volkshelden wurde er aber erst 1962. Pelé schied früh aus dem Turnier aus, doch Garrincha führte die Seleçao trotzdem zum Titel.

Der «kleine Vogel» war eine echte Attraktion. Bei seinem Klub Botafogo wurde er in jedem Spiel eingesetzt – ohne Rücksicht auf seinen Körper –, denn die Leute zahlten Eintritt, nur um Garrincha Fussball spielen zu sehen. Operationen wurden verschoben und er musste immer wieder fitgespritzt werden. Nach der WM 1966, da war er längst nicht mehr der Alte – beendete er seine Nati-Karriere. Schriftsteller Nelson Rodrigues sagte dazu: «Wir hatten das Lachen verlernt. In dieser Zeit lebten wir verwaist und verlassen. Ohne seinen dynamischen, akrobatischen, dionysischen Fussball waren wir 80 Millionen Waisen.»

Dass Garrincha derart verehrt wurde, lag laut Rodrigues nicht nur an seinen fussballerischen Qualitäten, sondern auch an seiner Person als solche. Er sei der Prototyp eines Brasilianers gewesen: «Er hatte dieses entwaffnende Gemüt eines Kindes, der mit einer Schrotflinte Zaunkönige abschiesst und in seiner grenzenlosen Herzlichkeit im Dorf sogar die Hunde grüsst. Wir alle sind Opfer unseres Verstandes. Garrincha dagegen hat nie nachdenken müssen. Garrincha denkt nicht. Bei ihm läuft alles über den Instinkt.»

Mit 49 Jahren starb er an einer Alkoholvergiftung

Doch sein Leben hatte Garrincha nie wirklich im Griff. Seine Biografen schreiben, dass er bereits als Zehnjähriger alkoholabhängig war und auch als Profispieler dem Alkohol frönte. «Garrincha war ein hochsensibler Mensch, hinter dem ein genialer Ballkünstler steckte, dessen Bezwinger der Alkohol war», heisst es in seiner Biografie. Und so kam es, wie es kommen musste. Am 20. Januar 1983 starb der erst 49-Jährige, er war längst ein völlig verarmter Sozialfall, an einer Alkoholvergiftung. Er hinterliess (mindestens) 14 Kinder und ein Volk, das sich plötzlich wieder an ihn erinnerte. Tausende Anhänger kamen zu seiner Beerdigung.

«Hier ruht in Frieden einer, der das Volk glücklich gemacht hat», steht auf dem Grabstein.


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