Betim Fazliji ist St. Galler durch und durch. Trotzdem hat der 24-Jährige entschieden, für das Nationalteam des Kosovo aufzulaufen. Vor dem Duell mit der Schweiz spricht er über Ver- und Entwurzelung.
Im Kader von Kosovos Nationalteam finden sich einige Spieler mit Bezug zur Schweiz. Fidan Aliti, Ismajl Beka, Florent Hadergjonaj, Kreshnik Hajrizi, Andi Hoti und Arijanet Muric sind alle in der Schweiz geboren. Betim Fazliji ist zwar im Südosten Serbiens zur Welt gekommen, hat den Grossteil seiner Kindheit jedoch in Rebstein verbracht. Dort begann er auch mit Fussball und schaffte es über die Rheintaler Auswahl in den Nachwuchs des FC St. Gallen. Nach drei Jahren als Profi wechselte er 2022 zu St. Pauli in die 2. Bundesliga, kehrte auf diese Saison hin aber nach St. Gallen zurück.
Betim Fazliji, nach einem Jahr beim FC St. Pauli wollten Sie in diesem Sommer unbedingt zum FC St. Gallen zurückkehren. Was waren die Gründe?
Ich bin ein Typ, dem das Umfeld sehr wichtig ist. Das habe ich in Deutschland richtig realisiert. Stimmt das Wohlbefinden, stimmt auch die Leistung. Deshalb bin ich sehr glücklich, dass es mit der Rückkehr geklappt hat. Hier bin ich daheim, hier habe ich den Schritt zu den Profis gemacht, hier hat man immer auf mich gesetzt.
Sie waren also unglücklich bei St. Pauli?
Ich bin nie unglücklich, wenn ich Fussball spielen kann. Aber ich war zum ersten Mal weg von zu Hause, mir fehlten die Familie und die Freunde. Und als ich endlich in Fahrt gekommen war, spielte die Mannschaft so gut, dass es keine Wechsel brauchte. Trotzdem bin ich stolz, den Schritt gewagt zu haben. Ich habe nur Gutes mitgenommen. Das Schlechte habe ich zurückgelassen.
Was hat Ihnen am meisten gefehlt?
Ich bin täglich im Training oder bestreite Spiele. Im Fussball-Alltag geht alles sehr schnell, es ist ein ständiger Konkurrenzkampf. Ich brauche den Austausch mit der Familie und Freunden, um abschalten zu können, aber auch, um andere Realitäten zu sehen. Ich sitze gerne mit ihnen im Garten, in der Badi oder im Café und rede über Gott und die Welt, höre zu, wie sie mit ihren ganz anderen Problemen umgehen. Das finde ich spannend. Man kann von jedem Menschen etwas lernen. Ausserdem kann ich im Kreis meiner Familie und meiner Freunde ich selbst sein. Das habe ich in Hamburg sehr vermisst.
Die Wurzeln der Familie Fazliji liegen im Presheva-Tal, das bis heute zu Serbien gehört, wo jedoch viele ethnische Albaner leben. So konnte Betim Fazliji den kosovarischen Pass beantragen. Der Fussballverband des Landes ist seit 2016 FIFA-Mitglied und bestreitet seither EM- und WM-Qualifikationen. Dabei ist man oft auf der Suche nach Doppelbürgern, die bereit sind, für den jungen Staat anzutreten.
Sie sind offensichtlich sehr verbunden mit der Region. Nun spielen Sie aber mit Kosovo gegen die Schweiz.
Das wird ein ganz spezielles Spiel, da ich hier aufgewachsen bin und ziemlich sicher mein ganzes Leben in der Schweiz verbringen werde. Ich denke, dass es für viele ein Gefühlschaos wird, denn auf beiden Seiten gibt es Spieler mit Wurzeln im jeweils anderen Land. Es wird ein 'Freundschaftsspiel', in dem es aber auch um wichtige Punkte geht. Und natürlich: Ich werde alles dafür geben, dass wir gegen den grossen Gruppenfavoriten punkten können.
So wie vor einem Jahr, als Sie im Letzigrund 1:1 unentschieden spielten. Damals war es aber tatsächlich nur ein Testspiel...
...und die Stimmung war grossartig, ein tolles Fussballfest. Ich freue mich darauf, erneut auf viele bekannte Gesichter zu treffen, und hoffe auf etwas mehr Einsatzzeit als damals (15 Minuten – Red.).
Sie spielten 2020 noch für die U20 der Schweiz, entschieden sich dann aber für den Nationenwechsel. Als Grund gaben Sie die starke Konkurrenz auf ihrer Position im defensiven Mittelfeld an.
Man muss sich nur die Namen anschauen. Xhaka, Zakaria, Freuler: Das sind alles Weltklasse-Spieler. Ich war damals ein junger Fussballer, der davon träumte, irgendwann in einer A-Nationalmannschaft zu spielen. Während ich in der Schweiz wohl lange auf meine Chance hätte warten müssen, konnte mir der Kosovo das bieten. Bernard Challandes war damals der Nationaltrainer, der sich sehr um mich bemüht hatte.
Klingt nach einem einfachen Entscheid.
Das war es nicht. Ich liebe den Kosovo und die Schweiz gleichermassen. Und ich war enttäuscht, als ich in den Schweizer Medien las, es sei ein Entscheid gegen die Schweiz gewesen. Das war es nicht. Ich fiebere immer noch sehr mit der Nati mit und hoffe, dass sie in Zukunft noch mehr Erfolge feiern kann. Aber ich musste beurteilen, was für mich am besten ist. Und ich bin überzeugt, den richtigen Entscheid getroffen zu haben, und laufe mit Stolz für die kosovarische Nationalmannschaft auf.
Mit bisher drei Punkten aus vier Spielen verlief der Start in die EM-Qualifikation unter den Erwartungen.
Wenn ich die einzelnen Spieler unseres Teams anschaue, verstehe ich nicht, wie wir gegen Andorra nur unentschieden spielen und gegen Belarus verlieren konnten. Ich denke, dass die Qualität da wäre, in der Gruppe vorne mitzuspielen. Aber es braucht wohl noch etwas Zeit, um sich als Team weiterzuentwickeln. Das Land und der Verband sind noch jung.
Sein Debüt im Nationalteam des Kosovo gab Fazliji am 11. November 2020. Inzwischen steht er bei 20 Einsätzen, auf einen Torerfolg wartet er noch. Nachdem er zu Beginn oft als Innenverteidiger eingesetzt worden war, spielte er zuletzt im defensiven Mittelfeld. Auch bei St. Gallen und St. Pauli kam er auf beiden Positionen zum Einsatz.
Sie sind polyvalent einsetzbar. Ist das ein Vor- oder Nachteil?
Zu Beginn, als Jungprofi, war es ein Vorteil. Ich bekam immer wieder Chancen, mich zu zeigen und mich aufzudrängen. Als Stammspieler finde ich es jedoch wichtig, einen klaren Platz in der Aufstellung zu haben. Auch bei der Rückkehr zu St. Gallen habe ich das früh angesprochen. Denn ich möchte mich auf die Position des Sechsers fokussieren.
Dort sehen Sie Ihre grösste Stärke?
Definitiv. Ich liebe es, den Druck der Gegenspieler zu spüren, mich daraus zu befreien und den Gegenangriff einzuleiten. Das kommt auf dieser Position am besten zur Geltung.
Zum Abschluss: Bleiben Sie nach Ihrer Rückkehr zu St. Gallen bis zum Karriereende in Grün-Weiss?
Das weiss man nie. Mein grosses Ziel ist aber, mit dem FC St. Gallen einen Pokal zu holen. Ich bin in diesem Klub gross geworden und weiss genau, was Fussball in dieser Region bedeutet. Es wäre das Grösste für mich, mit all den Leuten hier einen Titel zu feiern.