Kommentar Mesut Özil ist kein Geizhals

Von Jan Arnet

22.4.2020

Wird einmal mehr in ein schlechtes Licht gestellt: Mesut Özil.
Wird einmal mehr in ein schlechtes Licht gestellt: Mesut Özil.
Bild: Getty

Mesut Özil will nicht auf sein monströses Gehalt verzichten, was zu einem gigantischen Shitstorm für den Deutschen führt – zu Unrecht. Ein Kommentar.

Ist man ein Geizhals, wenn man während der Coronakrise nicht auf seinen vertraglich zugesicherten Lohn verzichten will? Das sollte sich jeder Arbeitnehmer zunächst selber fragen. Und auf dem Weg zu seiner Antwort sollte er vor allem folgende beiden Fragen in Betracht ziehen: Wie sehr leidet mein Arbeitgeber, wenn er mir den vollen Lohn auszahlen muss? Und was geschieht mit dem Geld, das nicht ausgezahlt wird?

Die Antworten auf diese Fragen sind natürlich von Branche zu Branche unterschiedlich. Im Fussball etwa sind einige Klubs in ihrer Existenz bedroht, weil sich keine Tickets verkaufen können und keine Sponsoren- sowie TV-Gelder mehr kassieren, aber trotzdem hohe Löhne auszahlen müssen. So zeigen sich auch viele Fussballer derzeit solidarisch und verzichten auf Teile ihres Gehalts.

Nicht so Mesut Özil, der einem «Mirror»-Bericht zufolge einen Lohnverzicht abgelehnt hat. Ausgerechnet Özil, der mit einem Wochenlohn von umgerechnet 420'000 Franken (!) der Top-Verdiener bei Arsenal London ist. Der deutsche Weltmeister von 2014 wird deshalb – einmal mehr – von vielen Seiten angefeindet. Er sei herzlos, weil er nicht an die vielen Mitarbeiter rund um den Klub denke. Er sei egoistisch, weil er nicht wie die meisten seiner Mitspieler auf Teile seines Gehalts verzichtet. Und deshalb sei er auch ein Geizhals.



Mesut Özil hat ein grosses Herz

Was von vielen Fans, Journalisten und Experten aber ignoriert wird, ist der Fakt, dass sich Özil in Vergangenheit immer wieder für wohltätige Zwecke eingesetzt hat. Erst vor neun Wochen, als die Welt noch eine ganz andere war, hat der Arsenal-Profi Fans mit einer Behinderung zu einem Spiel eingeladen und posierte danach für Fotos.

Ausserdem arbeitet der 31-Jährige mit dem Kinderhilfswerk «Ray of Sunshine» zusammen und begrüsste kürzlich einen kleinen Arsenal-Fan mit Zerebralparese und Lungenerkrankung in seinem Haus. Ein anderer junger Anhänger der «Gunners», Lawrence aus Kenia, berührte das Herz des Deutschen, indem er sich mit bescheidenen Mitteln ein eigenes Arsenal-Trikot bastelte. Özil revanchierte sich und schickte Lawrence und seinen Freunden Trikots und Fussballschuhe nach Afrika. Es sind Beweise dafür, dass der Linksfuss sehr wohl ein Herz hat und alles andere als egoistisch ist.

Und er ist auch nicht geizig. Özil hat in der Vergangenheit schon zahlreiche Spenden getätigt. Er hat laut der «Sun» schon rund 1'000 Operationen für kranke Kinder bezahlt, für 100'000 syrische und türkische Flüchtlinge in Lagern die Ernährung finanziert und rund 250'000 Euro für kranke Kinder in Brasilien gespendet. 

Fragwürdiges Handeln der Top-Klubs

Statt einen Fussballer an den Pranger zu stellen, sollte vielleicht eher hinterfragt werden, wie ein Grossklub wie Arsenal in der Krisenzeit handelt. Denn in England ist man noch immer davon überzeugt, dass die Saison zu Ende gespielt wird. Was bedeuten würde, dass jeder Verein weiterhin zig Millionen an TV-Geldern einnimmt. Natürlich gehen den «Gunners» bei Geisterspielen die erwarteten Ticket-Einnahmen flöten, doch das wird einen Premier-League-Verein mit hunderten Millionen Fans auf der ganzen Welt kaum in den Ruin treiben.

Arsenal verlangt von Granit Xhaka und Co. nun offenbar einen Verzicht von 12,5 Prozent des Jahresgehalts bis März 2021, obwohl noch völlig unklar ist, ob die Saison abgebrochen werden muss und auf wie viel Geld der Klub am Ende des Tages verzichten muss. «Der Verein muss zuerst erklären, wie er zu diesen Prozentzahlen kommt. Wenn die Spieler all diese Infos haben, dann sind sie auch in der Lage, eine fundierte Entscheidung zu treffen», verteidigt Özils Berater Erkut Sögüt die Entscheidung seines Klienten, vorerst nicht auf Teile seines Lohnes zu verzichten, gegenüber «The Athletic».

Auch Real-Madrid-Profi Toni Kroos stellte den Lohnverzichtstrend der Fussball-Klubs Anfang Monat in Frage, als er vom «SWR» gefragt wurde, was er vom Vorschlag seines Vereins hält. «Ich würde es schon besser finden, das volle Gehalt zu bekommen. Aber dann mit dem Geld vernünftige Sachen machen und links und rechts helfen», sagte Kroos und erläuterte: «Auf das Gehalt zu verzichten, ist wie eine Spende ins Nichts oder an den Verein, wobei es hier nicht nötig ist.»

Vielleicht müssen Europas Top-Klubs im Sommer auf den einen oder anderen grossen Transfer verzichten, aber sowohl Real Madrid als auch Arsenal London dürften die Corona-Krise ohne grössere Schäden überleben. Anders als kleinere Vereine, anders als viele Kleinunternehmen, die wirklich darauf angewiesen sind, dass sich die Angestellten solidarisch zeigen – und darauf zählen können, dass Leute wie Mesut Özil ihnen aus der eigenen Tasche unter die Arme greifen. 


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