Krisenzeiten Vom Feind- zum Vorbild? Der vermeintliche Wandel der Ultras

lbe

2.4.2020

Ultras verhalten sich ausserhalb des Stadions oft sehr solidarisch. (Symbolfoto)
Ultras verhalten sich ausserhalb des Stadions oft sehr solidarisch. (Symbolfoto)
Bild: Getty

Noch vor rund einem Monat sorgen diverse Hassplakate von Ultras in Deutschland für zahlreiche Negativschlagzeilen. Genau so zahlreich zeigen sich die Gruppierungen in Zeiten der Corona-Pandemie aber von einer solidarischen Seite.

«Ich schäme mich zutiefst für diese Chaoten», zeigte sich Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge über die eigenen Fans empört, nachdem Bayern-Anhänger Ende Februar mit Hass-Plakaten gegen Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp für einen Spielunterbruch sorgen. «Spätestens heute ist der Moment gekommen, wo die gesamte Bundesliga gegen diese Chaoten vorgehen muss. Wir müssen alle zusammenstehen. Wir haben viel zu lange die Augen zugemacht, was in den Kurven passiert. Das ist das hässliche Gesicht des Fussballs.»

In der Folge wird Hopp definitiv zum Symbol eines Machtkampfes. Nur einen Tag später muss auch das Spiel zwischen Union Berlin und Wolfsburg unterbrochen werden – wegen eines Plakats, das den 79-jährigen Hopp in einem Fadenkreuz zeigt. Auch bei den Partien von Dortmund gegen Freiburg und Köln gegen Schalke 04 gibt es Proteste, die Ultras solidarisieren sich gegen Hopp. Wohl nur dank der sich ausbreitenden Corona-Pandemie rückt diese Problematik zumindest vorübergehend in den Hintergrund.



Ultras als Freund und Helfer

Stattdessen legen die Ultras in diesen Zeiten Solidarität gegenüber der Gesellschaft an den Tag und beweisen, dass sie mehr sind als «Chaoten». Ob Solidaritäts- und Hilfsaktionen für bedürftige Menschen oder Banner, auf denen Ärzten, Pflegekräften oder Mitarbeitern in Supermärkten gedankt wird – zahlreiche Gruppierungen sind zur Stelle. «Ihr seid die Helden unserer Stadt, macht den Virus platt», schreiben etwa Ultras aus Freiburg.

Die Szene in Frankfurt sammelt Spenden für die städtische Tafel, um Obdachlosen unter die Arme zu greifen. Vereinzelte Gruppen sind auch um Spenden in besonders stark betroffenen Krankenhäusern in Italien bestrebt. «So viel sollte inzwischen jedem klar sein, unser geliebter Fussball und der Gang ins Stadion sind aktuell absolute Nebensache», heisst es im Statement der «Ultras Frankfurt 1997».

Und die «Ultras Gelsenkirchen» begeistern mit der vom Schalker Fanprojekt organisierten Aktion, zwei Mal in der Woche den Einkauf für Menschen in den Risikogruppen zu besorgen. Das sind nur wenige Auszüge zahlreicher kreativer Aktionen der rivalisierenden Fan-Gruppen.

Keine Neuigkeit

Felix Tamsut, deutscher Journalist und Experte für Fankultur, betont: «Das zeigt, dass viele der Stereotypen über die Ultragruppen, die in der Mitte der Gesellschaft vorherrschen, oftmals unfair sind. Ausserdem ist es bezeichnend, dass diese Aktionen erst jetzt eine so grosse Aufmerksamkeit generieren. Denn dass Ultras sich in ihren Gemeinden und in sozialen Projekten einbringen, ist nichts Neues.»

Beispiele dafür sind jährliche Essens- und Sachspenden in der Weihnachtszeit oder Kleiderspenden im Winter. «Ich hoffe, dass auch diese Seite der Subkultur nun stärker in der breiten Gesellschaft betrachtet wird. Die Ultras sehen sich primär als Repräsentanten der Stadt. Deswegen helfen sie natürlich auch, wenn das angebracht ist«, erklärt Tamsut. Das gilt nicht nur für Deutschland.

Ultras helfen auch in der Schweiz

Die Fanszene von Atalanta Bergamo, die in Italien einen schlechten Ruf innehat, setzt sich ebenfalls solidarisch für die eigene Stadt ein. Mehr als tausend Anhänger spenden das rückerstattete Geld von gekauften Tickets an örtliche Spitäler, zudem helfen sie beim Bau eines provisorischen Feldkrankenhauses.

Auch in der Schweiz stellen unterschiedliche Anhänger ihre Dankbarkeit unter Beweis, unter anderen jene des FC Basel. «D Helde vo dääne Dääg trage Wiss statt Rotblau», steht auf einem Plakat vor dem Bruderholzspital. 

Weil die grosse Solidarität von Ultragruppen in der Öffentlichkeit nur selten wahrgenommen wird, revidiert sich in Krisenzeiten wie diesen ihr vornehmlich negatives Image. Die Frage ist bloss, wie lange der vermeintliche Wandel anhält.

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