Kommentar Vor lauter Positivität kommt in der Nati die Selbstkritik zu kurz

Von Patrick Lämmle

12.11.2020

Haris Seferovic und Granit Xhaka: In der Nationalmannschaft gehören sie zum Stammpersonal.
Haris Seferovic und Granit Xhaka: In der Nationalmannschaft gehören sie zum Stammpersonal.
Bild: Keystone

Der Schweizer Nati bleiben zwei Chancen, um im Jahr 2020 doch noch einen Sieg einzufahren. In den sechs bisherigen Spielen setze es vier Niederlagen und zwei Remis ab. Selbstkritische Töne sind aus dem Kreise der Nationalmannschaft aber kaum zu hören.

Seit Jahren gehört die Schweizer Nati zur gehobenen Mittelklasse, das ist aller Ehren wert. Viel mehr sollte man nicht erwarten – warum auch? Es wimmelt in der Nati nicht von Ausnahmekönnern, die Spiele regelmässig im Alleingang entscheiden können. Die meisten Nationalspieler kicken in guten Vereinen im Ausland, aber kaum einer spielt bei einem der ganz grossen Titelhamsterer. Und wenn doch, so wie etwa Liverpool-Legionär Xherdan Shaqiri, dann ist er dort nicht unersetzlich.

Und doch ist die Erwartungshaltung immens. Daran sind aber auch die Spieler selbst schuld, denn sie schüren mit ihren Aussagen die zu hohen Erwartungen. Es sind der Trainer und die Spieler, die davon sprechen, dass sie jeden Gegner dominieren wollen. Phasenweise tun sie das auch, doch mit individuellen Fehlern stürzen sie sich zuletzt immer wieder ins Verderben. Dass dies der fehlenden Klasse geschuldet sein könnte, daran scheint nie jemand einen Gedanken zu verschwenden.

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Seferovic sagt an der Pressekonferenz vor dem Spanien-Spiel: «Wir gehen auf Sieg. Wir gehen nicht nach Basel um ein 0:0 zu halten.» Wie das gehen soll: «90 Minuten hochkonzentriert bleiben und unsere Chancen nutzen.» Doch genau da drückte der Schuh, in den letzten Spielen schlichen sich jedes Mal kapitale, individuelle Fehler ein. «Erklären kann ich das nicht», meint Seferovic darauf angesprochen. Und: «Das ist Pech. Ein bisschen Müdigkeit.» Und vorne jede Chance nutzen? Ja, da bräuchte es dann eben wohl doch einen Stürmer vom Format Lewandowski.

«Wir müssen einfach positiv bleiben»

Es ist gut, wenn die Spieler positiv denken. Es ist nicht verwerflich, dass sie auch gegen Spanien gewinnen wollen. Du musst mit dieser Einstellung in ein Spiel gehen, ansonsten brauchst du gar nicht erst anzutreten, weil du schon verloren hast. Und doch würde man sich wünschen, dass nicht immer alles schöngeredet wird. Es wäre auch wichtig, Ursachenforschung zu betreiben. Warum schleichen sich so viele Fehler ein und wie kann man sie künftig auf ein Minimum reduzieren?

Und was sagt Seferovic dazu? «Wir reden nicht viel darüber. Wir blicken positiv nach vorne. Es verunsichert einen, wenn man immer über Fehler spricht und dann wird es nur noch schlimmer. Wir müssen einfach positiv bleiben.» Der Masterplan, um die Fehler abzustellen? «Man muss einfach über 90 Minuten hochkonzentriert sein.» Vielleicht müssten die Schweizer aber auch einfach von der Idee wegkommen, um jeden Preis immer hinten raus zu kombinieren. Zwischendurch den Ball einfach mal in die Spitze spedieren und schauen, was passiert, das könnte auch ein entlastendes Element sein. Gegen Belgien hat man übrigens genau so ein Tor erzielt.

Die Entwicklung des Teams seit dem vor zweieinhalb Jahren eingeleiteten Umbruch sieht der Stürmer trotz der in diesem Jahr ernüchternden Resultate positiv. Er glaube, das Team habe sich «sehr gut entwickelt» und einen «riesigen Schritt» nach vorne gemacht. Von aussen betrachtet kommt man eher zum Schluss, dass sich die Schweizer Nati auf etwa demselben Niveau bewegt wie vor dem Umbruch. Das ist kein Grund Trübsal zu blasen und den Spielern an den Karren zu fahren, denn schon damals gehörte das Nationalteam zur gehobenen Mittelklasse – und dort gehört sie realistischerweise auch hin. Exploits sind aber immer möglich, vielleicht ja schon gegen Spanien …

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