KommentarWie konnte man dieses Spiel bloss durchpauken?
René Weder
20.3.2018
Der Prozess um den mutmasslichen BVB-Bus-Bomber zeigt vor allem zwei Dinge: Die Narben sind längst nicht verheilt und der Übertritt zum Tagesgeschäft geschah viel zu früh.
Thomas Tuchel sagte am Montag, dass er heute wohl Borussia Dortmund noch trainieren würde, wäre es am 11. April 2017 nicht zum folgenschweren Anschlag auf den Team-Bus gekommen (zum Bericht). Die damaligen Unstimmigkeiten mit der Klubleitung, namentlich Geschäftsführer Hans Joachim Watzke, seien hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass dieser im Gegensatz zu Tuchel nicht im Bus gesessen habe.
Unnötige Mutmassung Tuchels
Daraus habe sich ein komplett unterschiedlicher Umgang mit dem Vorfall ergeben. Ob dies Grundlage oder Auslöser für die Trennung war, die am 30. Mai kommuniziert wurde und zum Saisonende erfolgte, wird unterschiedlich beurteilt. Schon zuvor war die Situation zwischen Tuchel und Watzke angespannt und es herrschte ein Dissens über die Fühung und künftige Ausrichtung des Vereins. Dass Tuchel im Rahmen des Prozesses nun in diese Richtung nachtritt, ist nicht die feine Art. Er untermauert aber die Befürchtung, dass die Wunden, die dieser Anschlag hinterlassen hat, viel tiefer sind, als gemeinhin angenommen.
Vor allem die Aussagen der Spieler verdeutlichen, dass der Vorfall bei weitem noch nicht verarbeitet wurde. Sven Bender berichtet während dem Prozess von den Schreien seines Team-Kollegen Marc Bartra, dem am schwersten verletzten BVB-Profi. Marcel Schmelzer berichtet, er habe nächtelang nicht schlafen können und er erschrecke noch heute bei lauten Geräuschen.
Weidenfeller: «Der Vorfall hat mein Leben verändert»
Roman Bürkis Goalie-Kollege Roman Weidenfeller gibt unumwunden zu, dass er noch immer psychologische Hilfe in Anspruch nehmen müsse. Und er ergänzt: «Der Vorfall hat mein Leben verändert (…) Die Aufarbeitung ist noch nicht abgeschlossen (…) Wir sind Menschen und keine Maschinen».
Vor diesem Hintergrund ist es befremdlich, dass man am Tag nach dem Anschlag das Champions-League-Spiel gegen Monaco über die Bühne gehen liess. Gegen den Willen des Trainers und wohl auch gegen den Willen der traumatisierten Spieler. Tuchel habe zwar zunächst gedacht, er könne coachen, musste aber schnell merken, dass es nicht gehe, sagte er. Trotzdem fand das Spiel statt.
Die Show muss weitergehen
Und was macht der mutmassliche Täter? Er gab während des gesamten Verhandlungstages kein Wort von sich und verzichtete auch auf eine Entschuldigung. Er beharrt via Anwalt jedoch darauf, die Sprengsätze bewusst so gebaut zu haben, dass «niemand getötet oder ernsthaft verletzt» werde. Ein veritabler Affront, der hoffentlich keine mildernden Umstände hervorrurfen wird.
Das Urteil wird frühestens im Sommer erwartet. Es wird den Spielern kaum dabei helfen, die schrecklichen Erlebnisse zu verarbeiten. Sie werden damit leben müssen, Ziel des Anschlags eines Wahnsinnigen gewesen zu sein, der an der Börse auf einen sinkenden Kurs der BVB-Aktie wettete. Und dass sie am Tag danach spielen mussten. Für die Massen, für die UEFA und für die Show, die weitergehen musste. Bloss nicht einknicken. Was für ein Fehler diese Entscheidung von damals war, dessen wird man sich heute wieder bewusst.