Analyse Wie Tuchel aus Chelsea in wenigen Wochen wieder ein Spitzenteam gemacht hat

Von Jan Arnet

18.3.2021

Thomas Tuchel ist als Trainer von Chelsea noch immer unbesiegt.
Thomas Tuchel ist als Trainer von Chelsea noch immer unbesiegt.
Bild: Keystone

Seit Thomas Tuchel bei Chelsea übernommen hat, läuft es bei den «Blues» wieder wie geschmiert. Wie kann ein Trainerwechsel so viel bewirken? Wir gehen der Sache auf den Grund.

Von Jan Arnet

Der Aufschrei in England war gross, als der FC Chelsea am 25. Januar die Trennung von Trainer Frank Lampard bekannt gab. Lampard, der als Spieler zu einer Chelsea-Legende wurde, übernahm anderthalb Jahre davor bei seinem Herzensklub und führte die Londoner sogleich in die Champions League – obwohl der Verein wegen einer Sperre keine Transfers tätigen konnte und den Abgang von Superstar Eden Hazard zu verkraften hatte. Zudem führte der 42-Jährige Chelsea im letzten Dezember nach langer Zeit auch wieder an die Tabellenspitze der Premier League.

Sieben Wochen später schienen die Klubverantwortlichen das allerdings alles vergessen zu haben. Nach der ersten kleinen Baisse unter Lampard folgte gleich die Entlassung. «Äusserst lächerlich» beschrieb Gary Lineker den Entscheid. Michael Owen bezeichnete den Rauswurf als «Wahnsinn» und «unglaubliche Entscheidung». Auch wir titelten: «Frank Lampard: Vom Helden zur Null innert sieben Wochen.»

Nun, wiederum sieben Wochen später, sieht die Welt in London wieder ganz anders aus. Seit Thomas Tuchel Ende Januar bei Chelsea übernommen hat, spielt die Mannschaft wieder äusserst erfolgreich. In den 13 Spielen unter Tuchel resultierten neun Siege und vier Remis. Chelsea hat in der Premier League einen Sprung von Platz 9 auf Platz 4 gemacht und sich in der Champions League souverän für die Viertelfinals qualifiziert. 

Sackstarke Defensive

Besonders bemerkenswert: Chelsea hat in den 13 Partien unter Tuchel nur zwei (!) Gegentore kassiert. Und das, obwohl Abwehrboss Thiago Silva schon seit Wochen verletzt fehlt. Auch gegen Atlético Madrid, immerhin Leader in LaLiga und zweitbeste Offensivmannschaft in Spanien, liessen die «Blues» hinten in den beiden Achtelfinal-Duellen nahezu nichts zu und gewannen letztlich beide Spiele souverän mit 1:0 und 2:0.

Als neuer Boss in der Verteidigung agiert zurzeit Antonio Rüdiger, der unter Lampard kaum eine Rolle spielte. Der Deutsche ist sowas wie ein Sinnbild für Tuchels Herangehensweise bei Chelsea: Jeder Spieler kriegt seine Chance. Etwa auch Matteo Kovacic oder Marcos Alonso erhalten viel mehr Spielzeit als unter Lampard, der mehr oder weniger stets die gleichen Spieler auflaufen liess.

Alleine im Rückspiel gegen Atlético am Mittwoch nahm Tuchel fünf Änderungen in der Startelf im Vergleich zum ersten Duell vor. So hält er jeden Spieler bei Laune. Jeder erhält das Gefühl, dass er gebraucht wird und sich auch mal ein schlechtes Spiel leisten darf.

«Gegen uns will niemand spielen»

Sinnbildlich dafür ist wiederum das Atlético-Spiel vom Mittwoch. Das Führungstor wurde durch Kai Havertz eingeleitet, von Timo Werner vorbereitet und durch Hakim Ziyech abgeschlossen. Die drei Top-Neuzugänge des Sommers wurden nach zähen ersten Monaten in England bereits als Flops abgestempelt und verloren auch das Vertrauen von Lampard. Unter Tuchel scheinen sie nun endlich in Fahrt zu kommen.



Den zweiten Treffer am Mittwoch schoss Emerson, eigentlich nur Linksverteidiger Nummer 3, nur wenige Augenblicke nach seiner Einwechslung. Tuchel, der als Kumpel-Typ gilt, scheint also jedem einzelnen Spieler wieder Selbstvertrauen einimpfen zu können.

Selbstbewusst ist auch der 47-jährige Coach selber. «Ich bin mir ziemlich sicher, dass niemand gegen uns spielen will», sagt er nach dem Viertelfinal-Einzug in der Königsklasse. «Es wird ein grosser Schritt, aber wir brauchen uns nicht zu fürchten.» Tuchel, der erst Ende Dezember bei PSG entlassen wurde, fühlt sich bei Chelsea pudelwohl: «Vom allerersten Moment an habe ich das Gefühl gehabt, Teil einer Familie und eines gut strukturierten Vereins zu sein. Die Unterstützung ist grossartig, und ich fühle mich wirklich als ein Teil davon.» Und mittlerweile trauert in London wohl auch keiner mehr Frank Lampard nach.