Virgil van Dijk «Wir setzen keine Prioritäten – wir wollen alles gewinnen»

SB10

15.8.2019

Virgil van Dijk will mit den Reds weiterhin Geschichte schreiben.
Virgil van Dijk will mit den Reds weiterhin Geschichte schreiben.
Bild: Getty

Liverpools Virgil van Dijk wurde in der letzten Saison zum besten Spieler der Premier League gekürt. Gegenüber «France Football» verrät der Holländer sein Erfolgsrezept und warum Verteidigen Spass macht.



Virgil van Dijk über ...

... Druck

Ich versuche, die Dinge ins rechte Licht zu rücken. Fussball ist zwar ein grosser Teil meines Lebens, aber nicht das Wichtigste. Ich weiss, dass, wenn die Dinge auf dem Feld nicht gut laufen, ich sehr traurig sein kann, auch sehr hart zu mir selbst. Aber es gibt noch einen anderen Aspekt in meinem Leben, meine Familie, die mir dabei hilft, die Sachen zu schätzen und alles zu relativieren.

... wie er das letztjährige Saisonende (in der Meisterschaft verloren die Reds wegen einem Punkt den Titel, bevor man die Champions League gewann) erlebte

Als wir das Hinspiel des Halbfinals in Barcelona (0:3) verloren, waren wir völlig am Boden, die Moral war am Tiefpunkt. Wir konnten es nicht verstehen, weil wir doch gut gespielt hatten. Wir dachten, wir hätten viel mehr als das verdient. Jeder hatte es gesehen. Wir waren niedergeschlagen, weil wir drei Treffer kassierten, aber gleichzeitig hatten wir ein Gefühl der Ungerechtigkeit. Wir wussten, dass im Rückspiel ein Wunder geschehen müsste. Dennoch wussten wir auch, dass es möglich war, wenn wir sehr schnell ein Tor erzielten. Am Wochenende vor diesem Rückspiel spielten wir in Newcastle und gewannen dort nach zähem Kampf mit 3:2, das Siegtor erzielten wir erst in den letzten Minuten (Anm.d.Red.: Origi, 86 Min.). Am Sonntag mussten wir miterleben, wie Manchester City in Leicester dank  einem Traumtor von Vincent Kompany gewann. Es war sehr schwierig für uns, weil uns klar war, dass City nicht aufgeben würde und dass unsere Saison nach dem  Rückspiel gegen Barcelona beendet sein könnte. Jetzt mussten wir ein Wunder vollbringen. Als wir im Stadion ankamen, begannen wir zu glauben, dass es möglich ist, als wir die Leidenschaft, die Atmosphäre und die Fans sahen, die uns unterstützten. Das war der Auslöser! Wir erkannten, dass es eine magische Nacht werden könnte. Aber auch nach dem Sieg über Barça haben wir in der Liga nichts aufgegeben. Wir hielten die Hoffnung und den Schwung aufrecht und gewannen weiter. Deshalb war es am Ende immer noch schwer. Es ist schwer, einen Titel so knapp zu verlieren ...

 ...  wie man die kommende Saison angeht, wenn man so nah war und ob es schwierig ist, sich wieder neu zu motivieren

Ehrlich gesagt, nicht für mich. Denn unser Sieg in der Champions League und damit verbundene Freude der Liverpooler-Fans haben unsere Moral wirklich gestärkt. Wir dachten, es gäbe keinen Grund, nicht an den Meistertitel zu glauben. Dieses Ziel haben wir nicht erreicht. Wir müssen also alles für dieses Ziel geben. Wir wollen solche Moment jedes Jahr erleben, indem wir alle möglichen Trophäen gewinnen, den Cup, den League Cup, die Klub-Weltmeisterschaft ...

... ob Liverpool Prioritäten in den Wettbewerben setzt

Nein, wir wollen alles gewinnen! Wir haben erkannt, wie schwierig es ist, eine Trophäe zu gewinnen. Es gibt viele Faktoren, die ins Spiel kommen, insbesondere der physische Aspekt. Es ist schwer, eine ganze Saison lang Höchstleistungen zu zeigen, wenn man versucht in allen Wettberwerben um Titel mitzuspielen. Aber man kann das ganze Team fragen: Jeder wird sagen, dass wir alles gewinnen wollen. Und persönlich rechne ich nicht gerne ...

... ob er die Erwartungshaltung spürt (Liverpool ist seit 1990 nicht mehr Meister geworden)

Nein, ich bin nicht diese Art von Mensch. Erstens, ich bin erst seit 18 Monaten hier. Selbst wenn ich die Geschichte des Vereins kenne und weiss, dass Liverpool diesen Titel mehr als jede andere Mannschaft will, fühle ich keinen Druck. Wir haben diesen Titel letztes Jahr knapp verpasst. Wir wissen, was wir zu tun haben: Es einfach besser machen als im letzten Jahr.

... wie man mit Enttäuschungen umgeht

Nach einer Enttäuschung kommt man wieder zusammen. Es ist manchmal schwer, all die Anstrengungen zu vergessen, die man die ganze Saison über gehabt hat, welche am Ende umsonst war. Wir denken also, dass wir dieses Jahr ein wenig mehr tun müssen, ein wenig mehr rennen, ein wenig mehr skoren, ein wenig mehr verteidigen, ein wenig mehr von allem tun müssen.

... ob er häufig an den Ballon d'Or denkt?

Fabio Cannavaro gewann im Jahr 2006 als bisher letzter Verteidiger den Ballon d'Or.
Fabio Cannavaro gewann im Jahr 2006 als bisher letzter Verteidiger den Ballon d'Or.
Bild: Getty

Ehrlich gesagt, überhaupt nicht. Aus dem einfachen Grund, weil es sich um eine Abstimmung handelt und ich keine Kontrolle oder keinen Einfluss darauf habe. Ich kann nichts tun, um die Meinung der Leute über mich zu ändern. Ich bin sehr stolz darauf, unter den Kandidaten zu sein, aber das Einzige, was ich tun kann, ist, meine Füsse auf dem Boden zu halten und sie zu aktivieren, um etwas daraus zu machen ... (lacht)

... ob er noch bessere Leistungen zeigen kann als in der letzten Saison

Es wird schwierig werden ...(lacht.) Aber so muss es jedes Jahr sein. So arbeite ich in meinem Kopf. Mach es besser, die ganze Zeit. Und offen gesagt, hilft mir die Anerkennung als Kandidat für den Ballon d'Or, in meinen Bemühungen und Leistungen sowie meinem Anspruch auf Höheres noch weiter zu gehen. Persönlich erlebe ich die beste Zeit meiner Karriere. Es ist bereichernd, lohnend und motivierend. Man weiss nie, wo das Limit ist. Das Einzige, was du als Spieler tun willst, ist, höher zu gehen.

... ob man es beim Ballon d'Or als Verteidiger schwerer hat

Ich weiss es nicht. Ich stelle lediglich fest, dass in den letzten Jahren nur wenige Verteidiger zu den besten Spielern der Welt gezählt wurden. Aber ich verstehe, dass die Show-Spieler, die Tore schiessen, gegenüber denen, die verhindern, dass sie geschossen werden, bevorzugt werden. Aber jemanden vom Skoren abzuhalten ist auch unterhaltend. Und es ist auch ein eminent kollektiver Akt. Ich bin nicht viel ohne meine Partner. Wir verteidigen gemeinsam, nie allein. Ich verstehe, dass die Menschen Tore lieben, die Freude, die sie bringen, die Jubelszenen die sie erzeugen. 

.... ob seine Transfersumme eine Belastung ist

Nicht wirklich. Wenn du in einem grossen Klub wie Liverpool spielst, hast du eine Bringschuld. Ob es nun zehn oder siebzig Millionen sind, es ist das Gleiche. Der Druck bleibt der gleiche.

... was er in Liverpool gelernt hat

Zu verteidigen, indem man vorwärts geht! Pressen, hoch verteidigen. Mit dem Ball zu spielen, ruhig zu spielen, das Spiel zu beobachten, zu sehen, was die besten Optionen sind.

... ob er von Natur aus so cool ist

Bei genauerem Hinsehen gibt es oft einfach wenig Grund, sich ständig zu stressen. Das bedeutet nicht, dass ich nie gestresst bin – sondern ich versuche mich so gut wie möglich davor schützen. Stress ist etwas, dem jeder unterworfen ist. Und dann ist da noch die Art und Weise, wie du damit umgehst. Und in diesem Bereich bin ich nicht allzu schlecht ...

... ob er nach dem Gewinn der Champions League ins Disneyland gegangen ist

Nein, aber ich wäre wirklich gerne gegangen. Ich liebe diesen Ort sehr. Ich war so oft dort! Ich bin ein absoluter Fan, genau wie meine Kinder. Ich will so schnell wie möglich zurückkehren. Ich könnte ihr Botschafter werden – ich glaube nicht, dass sie einen haben ... (lacht.)

Für die holländische Nati schoss der Captain in 26 Spielen vier Tore.
Für die holländische Nati schoss der Captain in 26 Spielen vier Tore.
Bild: Getty
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