Abrechnung mit Real Zidanes Abgang mit Misstönen: «Habe das Gefühl, dass der Verein mir nicht mehr vertraute»

SB10

31.5.2021

Zinédine Zidane beklagt sich in einem bitteren Abschiedsbrief über seinen Herzensklub.
Zinédine Zidane beklagt sich in einem bitteren Abschiedsbrief über seinen Herzensklub.
Bild: Keystone

Es war nicht nur die Saison ohne Titel, die Zinédine Zidane zum Abschied von Real Madrid bewogen hat. Der erfolgreichste Trainer in der Ära der Königlichen ist bitter enttäuscht. «Zizou» hat den Respekt vermisst – seine Zukunft sieht der 48-Jährige anderswo.

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Der Franzose verlässt die Königlichen nach einer Saison ohne Titelgewinn. Der Abschied Zidanes markiert das Ende einer erfolgreichen Ära: Gleich dreimal in Serie (2016, 2017, 2018) gewann der 1972 in Marseille geborene Starcoach mit Real die Champions League. Er erläutert in der Sportzeitung «AS» in einem offenen Brief seinen Abgang.

Liebe Fans von Real Madrid

Seit mehr als zwanzig Jahren, vom ersten Tag an, als ich in Madrid ankam und das weisse Trikot trug, habt ihr mir eure Liebe gezeigt. Ich habe immer gespürt, dass etwas Besonderes zwischen uns ist. Ich hatte die grosse Ehre, Spieler und Trainer des grössten Vereins aller Zeiten zu sein – aber vor allem bin ich ein weiterer Madrid-Fan. Aus all diesen Gründen wollte ich diesen Brief schreiben, um mich von euch zu verabschieden und meine Entscheidung zu erklären, den Trainerjob zu verlassen.

Als ich im März 2019 das Angebot annahm, nach einer achtmonatigen Pause zu Real Madrid zurückzukehren, geschah dies natürlich, weil Präsident Florentino Pérez mich darum bat. Aber auch, weil ihr alle mich jeden Tag darum gebeten habt. Wenn ich einen von euch auf der Strasse traf, spürte ich eure Unterstützung und den Wunsch, mich wieder in der Mannschaft zu sehen. Weil ich die Werte von Real Madrid teile; dieser Verein gehört seinen Mitgliedern, seinen Fans und der ganzen Welt. Ich habe versucht, diesen Werten stets zu folgen und ein Vorbild zu sein. Zwanzig Jahre in Madrid zu sein, ist das Schönste, was mir in meinem Leben passiert ist, und ich weiss, dass ich das nur der Tatsache verdanke, dass Florentino Pérez mich 2001 unterstützt hat. Er hat dafür gekämpft, mich hierher zu holen, als einige Leute dagegen waren. Ich sage es von Herzen, dass ich dem Präsidenten dafür immer dankbar sein werde. Immer.

Ich habe mich nun entschieden zu gehen und ich möchte die Gründe dafür genau erklären. Ich gehe, aber ich springe nicht aus dem Boot und habe es auch nicht satt, Trainer zu sein. Im Mai 2018 bin ich gegangen, weil ich nach zweieinhalb Jahren mit so vielen Siegen und so vielen Trophäen das Gefühl hatte, dass die Mannschaft einen neuen Ansatz braucht, um auf dem höchsten Niveau zu bleiben. Im Moment sind die Dinge anders. Ich gehe, weil ich das Gefühl habe, dass der Verein nicht mehr das Vertrauen in mich hat, das ich brauche. Und ich geniesse auch nicht die Unterstützung, um mittel- oder langfristig etwas aufzubauen. Ich verstehe den Fussball und ich kenne die Anforderungen eines Klubs wie Real Madrid. Ich weiss, wenn man nicht gewinnt, muss man gehen.

Aber damit ist eine sehr wichtige Sache vergessen worden. Alles, was ich tagtäglich aufgebaut habe, was ich in die Beziehungen zu den Spielern, zu den 150 Leuten, die mit und um die Mannschaft herum arbeiten, eingebracht habe. Ich bin ein geborener Gewinner und ich war hier, um Trophäen zu gewinnen. Aber noch wichtiger als das sind die Menschen, ihre Gefühle, das Leben an sich. Und ich habe das Gefühl, dass diese Dinge nicht berücksichtigt wurden, dass man nicht verstanden hat, dass diese Dinge auch die Dynamik eines grossartigen Vereins am Laufen halten. In gewisser Weise bin ich dafür sogar getadelt worden.

Ich möchte, dass es Respekt für das gibt, was wir gemeinsam erreicht haben. Ich hätte mir gewünscht, dass meine Beziehung zum Klub und zum Präsidenten in den letzten Monaten ein wenig anders gewesen wäre als die anderer Trainer. Ich habe nicht um Privilegien gebeten, nur um ein bisschen mehr Rücksichtnahme. Heutzutage beträgt das Leben eines Trainers in einem grossen Klubs durchschnittlich vielleicht zwei Saisons. Damit es länger dauert, sind die menschlichen Beziehungen wesentlich – sie sind wichtiger als Geld und Ruhm, wichtiger als alles. Sie müssen genährt werden.

Deshalb hat es mir so wehgetan, als ich nach einer Niederlage in der Presse las, dass ich entlassen würde, wenn ich das nächste Spiel nicht gewinne. Das tat mir und dem ganzen Team weh, weil diese absichtlich an die Medien durchgesickerten Nachrichten die Mannschaft negativ beeinflussten – sie schufen Zweifel und Missverständnisse. Zum Glück hatte ich diese tollen Jungs, die bis zum Schluss zu mir standen. Als die Dinge hässlich wurden, haben sie mich mit grossartigen Siegen gerettet. Denn sie glaubten an mich und wussten, dass ich an sie glaubte.

Natürlich bin ich nicht der beste Trainer der Welt, aber ich bin in der Lage, jedem – sei es ein Spieler, ein Mitglied des Trainerstabs oder ein Angestellter – die Kraft und das Vertrauen zu geben, die er für seinen Job braucht. Ich weiss genau, was eine Mannschaft braucht. In diesen zwanzig Jahren bei Madrid habe ich gelernt, dass die Fans natürlich gewinnen wollen, aber vor allem wollen sie, dass wir alles geben: der Trainer, der Stab, die Mitarbeiter und natürlich die Spieler. Und ich kann Ihnen versichern, dass wir hundert Prozent für diesen Verein gegeben haben.

Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um eine Botschaft an die Journalisten zu senden. Ich habe Hunderte von Pressekonferenzen gegeben und leider haben wir sehr wenig über Fussball gesprochen, obwohl ich weiss, dass sie Fussball lieben, diesen Sport, der uns zusammenbringt. Allerdings hätte ich mir des Öfteren gewünscht, dass sich die Fragen nicht immer um Kontroversen gedreht hätten. Und dass wir vielleicht öfter über das Spiel und vor allem über die Spieler gesprochen hätten, die das Wichtigste in diesem Sport sind und immer sein werden. Lasst uns den Fussball nicht vergessen, lasst uns für ihn sorgen.

Liebe Madrid-Fans, ich werde immer einer von euch sein.

Hala Madrid!

Zinédine Zidane