Adrian Newey hat genug von den ständigen Querelen in der Formel-1-Equipe Red Bull. Der Brite verlässt das Team um Max Verstappen im nächsten Frühjahr. Ist das der Anfang des Zerfalls des Rennstalls?
Der 65-jährige Newey hat es gerne ruhig. Er mag es, wenn er sich auf seine Arbeit konzentrieren kann, darauf, neue Ideen zu entwickeln und eine Lösung für deren Umsetzung zu finden. Sein Fokus ist einzig und allein auf sein Kerngeschäft gerichtet. Er ist ein Besessener im positiven Sinn.
Nebengeräusche in seinem beruflichen Alltag sind Newey ein Gräuel. Beim Team Red Bull sind sie ihm zu laut, der Kampf um Einfluss und Macht und die Störfaktoren rund um die «Affäre Christian Horner» zu zahlreich geworden. Für ihn gibt es zu viel Gegeneinander, das ein Miteinander zu sehr erschwert. Die Bedingungen stimmen für ihn nicht mehr, das Arbeitsklima ist zu sehr vergiftet, die Konzentration aufs Wesentliche ist ihm in den vergangenen Wochen immer schwerer gefallen. Dazu soll ihm auch die seiner Meinung nach zu geringfügige Wertschätzung seiner Leistungen ein Dorn im Auge sein.
Mit dem Abgang vollzieht Newey den unumgänglichen, für ihn logischen und für die Öffentlichkeit nicht mehr überraschenden Schritt. Nun besteht Gewissheit, was sich schon vor Tagen abgezeichnet hat. Der Brite meldet Vollzug für das, was Fachleute bereits seit längerem als gegeben betrachtet haben.
Von seinen angestammten Aufgaben lässt sich Newey ab sofort entbinden. In der laufenden Saison wird er nur noch bei ausgewählten Grands Prix vor Ort sein und sich auf den Bau des Sportwagens «Hypercar RB17» konzentrieren. Der Wagen soll im Juli präsentiert werden.
Wohin es Newey ziehen wird, steht in den Sternen. An Alternativen wird es ihm auf jeden Fall nicht mangeln. Als neuer Arbeitsort wird primär Maranello ins Spiel gebracht, die Basis der Scuderia Ferrari. In der Emilia Romagna könnte Newey jene Impulse auslösen, die den Roten in den letzten Jahren gefehlt haben für die Rückkehr ganz an die Spitze der Hierarchie der Formel 1.
Der Reiz von Ferrari
Newey stünde vor der reizvollen Aufgabe, in Zusammenarbeit mit Lewis Hamilton eine neue Ära einzuläuten. Aus dem Wunsch, Seite an Seite mit dem von ihm hoch geschätzten siebenfachen Weltmeister zu wirken, hat Newey nie ein Geheimnis gemacht. Interesse an einem Engagement Neweys haben zudem die Chefs des Rennstalls Aston Martin kundgetan.
Neweys Wegzug fällt in eine Zeit, in der in der Formel 1 längst schon wieder (technische) Zukunft gemacht wird, in der die Teams die Vorbereitung auf die übernächste Saison, in der das überarbeitete Reglement für die Motoren erstmals zum Tragen kommt, aufgegleist haben. Die neuen Vorschriften sehen unter anderem den auf 50 Prozent erhöhten Anteil an elektrischer Leistung und die Einführung von 100 Prozent nachhaltigem Kraftstoff vor.
Wie schnell Newey bei seinem neuen Arbeitgeber in den Prozess eingebunden werden könnte beziehungsweise wie lange die bei einem Wechsel dieser Grössenordnung übliche Auszeit dauern würde, wird sich zeigen.
Die Gedanken von Verstappen
Ebenfalls weisen wird sich, ob und allenfalls welche Konsequenzen Neweys Abschied im personellen Bereich im Team Red Bull hat. Allergrösste Brisanz wird selbstredend haben, wie Verstappen auf den Verlust des «Weltmeister-Machers» reagieren wird. Der Niederländer wird sich mit Sicherheit seine Gedanken über die Erfolgsaussichten machen, die ohne den «Guru» mit allergrösster Wahrscheinlichkeit nicht mehr die gleichen sein werden.
Ein vorzeitiger Ausstieg aus dem Vertrag, der für Verstappen bis nach der Saison 2028 bindende Wirkung hat, dürfte wieder zum Thema werden. Es wäre wohl der nächste markante Abschnitt einer Entwicklung, an deren Ende der Zerfall der erfolgsverwöhnten Equipe des Getränkeunternehmens stehen könnte.
Mit Newey kehrt das Technik-Genie schlechthin Red Bull den Rücken, ein «Super-Hirn», wie es in der Formel 1 so schön heisst. Der Engländer ist in der Tat einer mit besonderen Fähigkeiten, einer, der den Unterschied macht, der sozusagen über Sieg und Niederlage entscheidet. Wo Newey ist, ist der Erfolg.
Der Erfolg von Newey
Diese Erfolgsgeschichte hatte lange vor Neweys Einstieg in die Formel 1 begonnen. In der amerikanischen CART-Serie verhalf er Al Unser und Bobby Rahal zum Titelgewinn, dazu siegten mehrere Fahrer in Autos Marke Newey im Klassiker «500 Meilen von Indianapolis». In der Formel 1 machte der Brite im Sold des Teams Williams Nigel Mansell, Alain Prost, Damon Hill und Jacques Villeneuve und nach seinem Wechsel zu McLaren Mika Häkkinen zum Weltmeister.
Den Umzug zur Equipe Red Bull hatte Newey vor 18 Jahren vollzogen – und wiederum liess der Erfolg nicht lange auf sich warten. Erster grosser Profiteur seiner Fähigkeiten war Sebastian Vettel, der in den Jahren 2010 bis 2013 in der Formel 1 dominierte.