Die Formel 1 feiert Jubiläum. Der 1000. Grand Prix der Geschichte, der am Sonntag in der chinesischen Metropole Schanghai gefahren wird, ist nicht für alle Parteien ein Grund zur Freude.
Da rümpfen nicht nur die Romantiker die Nase. Der 1000. Grand Prix in einem Land ohne Tradition im Automobilrennsport, an einem Ort, der erst vor 15 Jahren Aufnahme im WM-Kalender gefunden hat. China und Schanghai, das kann nicht sein. Die grosse Jubiläumsfeier der Formel 1 hätte nach Europa gehört, am besten nach Silverstone. Dorthin, wo vor bald 69 Jahren alles begonnen hatte. Das Wunschdenken verpuffte primär wegen den meteorologischen Bedingungen. Das April-Wetter in England war den Verantwortlichen ein zu grosses Risiko.
Die andere Rechnung
Für die Puristen unter den Formel-1-Fanatikern hat die Frage nach dem Schauplatz des 1000. Grand Prix weniger im Mittelpunkt gestanden als der Zeitpunkt. Sie tun sich schwer damit, die elf Austragungen des 500-Meilen-Rennens in Indianapolis in den Jahren 1950 bis 1960 als Bestandteil der WM zu sehen. Für sie ist der Grand Prix von China deshalb erst die Nummer 989 der Geschichte.
«Indy 500» nahm wahrhaftig eine Sonderstellung ein. Von den Spitzenfahrern in der Formel 1 hatte praktisch keiner beim Klassiker in den USA teilgenommen. Die Ausnahme war der Italiener Alberto Ascari. Der zweifache Weltmeister startete 1952 im «Nudeltopf». Der damit verbundene Verzicht auf die Teilnahme am Grand Prix der Schweiz in Bremgarten lohnte sich nicht. Ascari schied aus.
Die Geburtsstunde der Formel-1-WM schlug am 13. Mai 1950, einem Samstag. Die Sonntagsruhe sollte nicht gestört werden. König George VI., seine Tochter und Thronfolgerin Elizabeth II. und mit ihnen 150'000 Zuschauer liessen sich das Spektakel auf dem Areal des einstigen Militärflugplatzes in Silverstone nicht entgehen. Als erster Grand-Prix-Sieger wurde Giuseppe Farina in einem Alfa Romeo abgewinkt. Der Italiener war am Ende der Saison auch Weltmeister.
Das Team Ferrari war bei der Premiere nicht am Start. Enzo Ferrari hatte seine Fahrer kurzfristig abgezogen. Der allmächtige Patron betrachtete die roten Autos als nicht konkurrenzfähig. Die Scuderia aus Maranello gab ihren Einstand acht Tage später im Grossen Preis von Monaco.
Der verspätete Einstieg von Ferrari war eine der unzähligen Geschichten in der bis heute einzigartigen Welt der Formel-1-WM, die auf eine Idee des ehemaligen Rennfahrers Antonio Brivio zurückging. Der Italiener war in seiner zweiten Karriere als Motorsportfunktionär die treibende Kraft bei der Umsetzung des Plans, die Grands Prix in einer Meisterschaft zusammenzufassen.
Für Wagen ohne Pferde
Autorennen hatte es schon über ein halbes Jahrhundert vor der Lancierung der Formel-1-WM gegeben. Das erste wurde im Juli 1894 in Frankreich ausgetragen. Auf der Strecke zwischen Paris und Rouen soll es nicht in erster Linie um Geschwindigkeit gegangen sein. Der Wettkampf wurde als «Zuverlässigkeitsfahrt» deklariert. Die 5000 Francs Preisgeld standen nicht dem schnellsten Fahrer zu, sondern dem, der das «ungefährlichste, am leichtesten zu bedienende und billigste Gefährt» präsentierte. Ausgeschrieben war das Rennen zudem als «Wettbewerb für Wagen ohne Pferde, entweder durch Dampf, Gas oder Elektrizität betrieben». Den Tüftlern standen so Tür und Tor offen.
Das Regelwerk der Formel-1-WM war seit jeher straffer formuliert. Was in den Anfängen die Motoren mit 1500 Kubikzentimetern Hubraum mit Kompressor oder mit 4500 Kubikzentimetern ohne Kompressor waren, sind heute die Turbo-Hybrid-Aggregate. Dazwischen lagen unzählige, der Zeit angepasste Entwicklungsstufen. Die Vorreiterrolle im Hightech-Bereich des Automobil-Baus verpflichtet und fordert gleichermassen.
Diese Rolle spielte die Formel 1, «Indy 500» als Bestandteil des Kalenders ausgenommen, vorerst ausschliesslich in Europa. Erst in der vierten Saison, 1953, gab es mit dem Grand Prix von Argentinien das erste Rennen in Übersee. Es war der erste Akt im Bestreben, die Formel 1 weltweit zu installieren. Mittlerweile ist Europa als Kerngebiet längst Geschichte. Seit zehn Jahren steht die Mehrzahl der Grands Prix ausserhalb unseres Kontinents im Programm.
Der Abstecher nach Südamerika war als Hommage an Juan Manuel Fangio zu sehen, den fünffachen Weltmeister der Fünfzigerjahre. Der Argentinier hatte die Szene damals geprägt wie später die Schotten Jim Clarke und Jackie Stewart, der Franzose Alain Prost, der Brasilianer Ayrton Senna, die Deutschen Michael Schumacher und Sebastian Vettel oder der aktuelle Dominator Lewis Hamilton.
Globalisierung mit Schattenseiten
Prägendste Figur abseits der Rennstrecken ist und bleibt der vor gut zwei Jahren von den aktuellen Besitzern von Liberty Media als Geschäftsführer abgesetzte Bernie Ecclestone. Hamiltons umtriebiger englischer Landsmann war während 40 Jahren die treibende Kraft, der die Serie ihren Status eines weltumspannenden Sports verdankt.
Die Globalisierung hat aber auch ihre Schattenseiten. Ecclestone setzte sich bei der steten Suche nach neuen Einnahmequellen im Wortsinn keine Grenzen. Seinen Expansionskurs zog er ohne moralische Bedenken durch – mit dem Ergebnis, dass die Formel 1 heutzutage in Ländern mit zwielichtigen Regierungen antritt. Ein Zustand, der dem Image der wichtigsten Rennserie nicht förderlich ist.
Wie etwa Russland, Aserbaidschan oder Bahrain gehört auch China zu den Nationen, die in Menschenrechtsfragen am Pranger stehen. Jenes Land, in dem am Sonntag die Formel 1 zur Formel 1000 wird. Dass kritische Voten nicht nur aus dem Lager der Romantiker zu hören sind, ist verständlich.