Zwei Jahre nach seinem Rücktritt spricht Tom Lüthi im Interview mit Keystone-SDA über den MotoGP-Titelkampf zwischen Francesco Bagnaia und Jorge Martin sowie über die Zukunft von Marc Marquez.
Auch äussert sich der 37-jährige Berner zu seinen Erwartungen an den von ihm gemanagten Moto3-Fahrer Noah Dettwiler.
Tom Lüthi, im MotoGP-Titelkampf hat nach 18 von 20 Rennwochenenden der Weltmeister Francesco Bagnaia gegen den spanischen Herausforderer Jorge Martin die Nase knapp vorne. Wer von den zwei Ducati-Fahrern wird Weltmeister?
«Derjenige, der den kühleren Kopf bewahrt.»
Und wer ist das?
«Über die Saison hat sich gezeigt, dass bezüglich Motorrad beide gleich gut ausgerüstet sind, obwohl Bagnaia im Werks- und Martin für ein Privatteam fährt. Bagnaia ist für mich der Fahrer, der etwas weniger Risiko eingeht und die Punkte immer mitnimmt. Martin hat zum ersten Mal die Chance auf den MotoGP-Titelgewinn, er riskiert mehr. Das ging heuer oft auf, manchmal hingegen nicht, da lag er am Boden und kassierte einen Nuller.»
Einen solchen kann sich Martin, der zudem 14 Punkte hinter dem Titelverteidiger aus Italien zurückliegt, weder in Katar noch Valencia mehr leisten.
«Nein, aber trotzdem könnte er etwas befreiter im Kopf sein. Er ist der Jäger. Er muss nicht mehr gross rechnen und studieren, sondern attackieren. Man hat gesehen, dass wenn er in den Flow findet, er praktisch unschlagbar ist. Hingegen ist Bagnaia eher derjenige, der zu kalkulieren weiss und auch schon einen MotoGP-Titel gewonnen hat. Für ihn gilt es, den richtigen Mix zwischen Verwalten und Risiko zu finden. Es ist so eng zwischen den beiden, dass ich damit rechne, dass die Entscheidung erst in Valencia fällt.»
Wie beurteilen Sie das Produkt MotoGP als Ganzes?
«Mit den Sprintrennen, die auf diese Saison dem Programm hinzugefügt worden sind, ist die MotoGP definitiv noch interessanter geworden. Diese zusätzlichen Sprints finde ich als Zuschauer der «Hammer», es ist Entertainment pur. Generell bietet die Klasse mehr Spannung als in früheren Jahren. Alle sind zusammengerückt.»
Marc Marquez spielte ab 2020 im Titelrennen keine Rolle mehr. Auf die kommende Saison wechselt der frühere MotoGP-Serienweltmeister von Honda zu Ducati. Was trauen Sie ihm zu?
«Er darf unmittelbar nach Saisonende mit Ducati testen. Da wird sich schnell zeigen, wie er mit dem Wechsel zurechtkommen wird. Marc hat den Vorteil, dass sein Bruder Alex Marquez bereits für Ducati fährt und ihm von seinen Erfahrungen sicher schon genau erzählt hat. Der Marquez-Clan weiss also schon bestens, wie bei Ducati gearbeitet wird.»
Marc Marquez gehört 2024 für Sie also zu den Titelanwärtern?
«Er wird seinen Fahrstil etwas anpassen müssen. Doch gelingt ihm dies und spürt er auch das Vorderrad früh und konstant gut, wie wir Motorradrennfahrer das nennen, dann wird er nächstes Jahr sehr gefährlich. Zumal er für mich körperlich wieder der fitteste MotoGP-Fahrer ist, im mentalen Bereich macht ihm auch keiner etwas vor.»
Wie gerne würden denn Sie mal wieder auf einem MotoGP-Motorrad sitzen?
«Zum Spass ein bisschen damit fahren, das wäre mir durchaus recht. Aber Wettkämpfe und Rennen und alles, was damit in der Vorbereitung zusammenhängt, das habe ich hinter mir gelassen.»
Das eine oder andere Rennen hat es seit Ihrem Rücktritt im November 2021 aber schon noch gegeben, oder?
«Aber nicht annähernd auf hohem Niveau. Motocross bin ich ein bisschen gefahren, aber alles lizenzfrei und ausschliesslich spasseshalber. So passt es für mich, mir fehlt nichts.»
Langweilig wird es Ihnen sowieso nicht. Sie sind beim SRF Co-Kommentator, führen für BMW Events mit Kunden durch und sind nicht zuletzt Manager des Moto3-Fahrers Noah Dettwiler. Wie wichtig ist für Sie Letzteres?
«Ich will Noah aktiv helfen, dass es nicht mehr allzu lange dauert, bis wir Schweizer wieder einen etablierten Fahrer im MotoGP-Fahrerlager haben und wir diesen Fahrer auch wieder regelmässig im Schweizer Fernsehen verfolgen können.»
Dafür braucht es...
«...gute Resultate, dann lebt das MotoGP-Thema in der Schweiz weiter.»
Dettwiler hat im August in Österreich (20. Platz) und im Oktober in Indonesien (26.) je einen Grand Prix in der Moto3-Klasse bestritten. Wie zufrieden waren Sie mit Ihrem Schützling?
«Den Circuit von Spielberg kannte er bereits, da zeigte er als Wildcard-Fahrer mit seiner bestehende Crew eine vielversprechende Leistung. Der Einsatz in Indonesien hingegen war viel kurzfristiger. Zudem war von der Strecke bis zum Team alles komplett neu für Noah, da waren die Voraussetzungen viel schwieriger. Das waren seine ersten Schritte auf diesem Niveau, nächstes Jahr geht es darum, dass er in diesem Haifischbecken möglichst schnell Fuss fasst.»
2024 ist der 18-Jährige Stammfahrer in einem französischen Team. Was sind Ihre Erwartungen und Hoffnungen?
«Generell muss eine Entwicklung sichtbar sein. Die Tendenz muss nach oben zeigen. Natürlich habe ich die Hoffnung, dass er seine ersten Punkte einfahren wird. Damit würde er sich auch für 2025 eine gute Basis legen.»
Wenn Sie und Dettwiler auf dem gleichen Motorrad sässen: Wer wäre schneller?
«Da müsste ich wissen, um welches Motorrad es sich handelt. Auf einer Maschine mit 1000 ccm hat er keine Erfahrung, da wäre ich schneller. Aber auf einem Moto3-Töff würde er mir ganz klar um die Ohren fahren.»