Geschlechterdebatte bei Olympischen Spielen IOC-Sprecher verurteilt Reporterfrage nach Imane Khelifs Chromosomen

jke

4.8.2024 - 13:03

Seit eine hitzig geführte Debatte um ihr Startrecht entbrannt ist, schaut die Sportwelt auf die Boxerinnen Imane Khelif und Lin Yu-Ting. Beide halten dem Druck stand und haben eine Medaille sicher.

DPA, jke

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die algerische Boxerin Imane Khelif brach nach ihrem Viertelfinal-Sieg bei den Olympischen Spielen in Tränen aus, als sie den Ring verliess.
  • IOC-Sprecher Christian Klaue kritisierte scharf einen Reporter, der Khelifs Geschlecht hinterfragte, und betonte die Unangemessenheit solcher Fragen. 
  • Khelif und die taiwanesische Boxerin Lin Yu-Ting wurden 2023 disqualifiziert, weil sie angebliche Zulassungsbestimmungen nicht erfüllten, dennoch bestätigte das IOC: «Es gab nie Zweifel, dass sie Frauen sind.»

Die im Zentrum einer aufgeheizten Geschlechterdebatte stehenden Boxerinnen haben sich eine Olympia-Medaille gesichert. Einen Tag nach der Algerierin Imane Khelif (25) zog auch Lin Yu-Ting (28) aus Taiwan ins Halbfinale des Turniers ein. Beide Athletinnen, deren Kämpfe von einer hochemotional geführten Kontroverse wegen des Startrechts bei den Sommerspielen von Paris begleitet werden, haben damit mindestens Bronze sicher. 

Lin besiegte in ihrem Viertelfinale in der Gewichtsklasse bis 57 kg die Bulgarin Swetlana Stanewa einstimmig nach Punkten. Lin fiel ihrem Trainer nach der Urteilsverkündung erleichtert in die Arme.

Plötzlich weltweites Interesse am Frauen-Boxen

Deutlich emotionalere Szenen hatten sich nach Khelifs Halbfinaleinzug am Samstag in der Boxhalle abgespielt. Beim einstimmigen Punktsieg gegen die Ungarin Anna Luca Hamori war die Weltergewichtlerin von zahlreichen algerischen Fans in der Halle bejubelt worden.

Imane Khelif (links) und die unterlegene Ungarin Anna Luca Hamori herzen sich nach dem Kampf
Imane Khelif (links) und die unterlegene Ungarin Anna Luca Hamori herzen sich nach dem Kampf
sda

Nach der Siegesverkündung hatte die 25-Jährige ihre Hand mit voller Wucht auf den Ringboden geschlagen, salutiert und war in Tränen ausgebrochen. 

«Dies ist eine Frage der Würde und Ehre für jede Frau», sagte Khelif bei beIN Sports. Ihr sei Unrecht getan worden, «aber ich habe Gott. Allah Akbar.» Danach wurde sie in einer algerischen Landesflagge eingehüllt von Betreuern in die Kabine gebracht.

IOC-Sprecher: «So geht man nicht mit Menschen um.»

IOC-Sprecher Christian Klaue machte seinem Unmut vor Medienschaffenden Luft. Wie «20 Minuten», berichtet, massregelte Klaue einen Journalisten, der wissen wollte, ob das IOC Khelif gefragt habe, ob sie intergeschlechtlich sei.

Klaue konfrontierte den Medienschaffenden: «Denken Sie nicht, dass es diskriminierend ist, einer Person eine solche Frage zu stellen?»

Klaue führte weiter aus: «Das geht nicht. Das kann man nicht machen. Ich denke nicht, dass es der richtige Weg ist, zu Menschen zu gehen und sie zu fragen: Sind Sie schwul? Sind Sie intergeschlechtlich? So geht man nicht mit Menschen um!» Er betonte, dass es Regeln gebe, die befolgt werden müssen, und dass diese Grundlage schwer zu akzeptieren sein mag, aber notwendig ist.

Klaue nimmt Medien in die Verantwortung

Der Journalist versuchte, sich zu rechtfertigen, aber Klaue liess das nicht gelten. «Wer hat es zu einem grossen Thema gemacht?», fragte er und gab die Antwort selbst: «Die Medien.»

Khelif habe über Jahre hinweg regelmässig an internationalen Box-Wettkämpfen teilgenommen, und ihr Geschlecht sei nie ein Thema gewesen. «Wo waren da all die Medien, die jetzt über Khelif schreiben?»

Lin Yu-Ting freut sich über eine Olympia-Medaille.
Lin Yu-Ting freut sich über eine Olympia-Medaille.
John Locher/AP/dpa

Nach Khelifs Auftaktsieg nach nur 46 Sekunden durch technischen K.o. gegen die Italienerin Angela Carini war das Startrecht für die Algerierin und für Lin von einigen Seiten – darunter auch rechtskonservative Politiker wie Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump – infrage gestellt worden.

IOC warnt vor Kulturkrieg auf Rücken der Athletinnen

Beide Boxerinnen waren nach bislang nicht näher erklärten Tests vom Verband IBA, der vom Internationalen Olympischen Komitee nicht mehr anerkannt wird, ausgeschlossen worden. Beide hätten laut IBA die erforderlichen Teilnahmekriterien nicht erfüllt und «im Vergleich zu anderen weiblichen Teilnehmern Wettbewerbsvorteile» gehabt.

Das IOC nannte es eine «willkürliche Entscheidung ohne ordnungsgemässes Verfahren» und liess Lin und Khelif in Paris teilnehmen. «Es gab nie Zweifel, dass sie Frauen sind», bekräftigte IOC-Präsident Thomas Bach erneut. Das IOC warnte vor einem «Kulturkrieg», der auf dem Rücken der Athletinnen ausgetragen werde.

Hass und Unterstützung

Lin und Khelif wurden im Internet angefeindet, Lin meidet nach eigener Aussage die sozialen Medien. Sie erhielten aber auch Rückendeckung. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, Human Rights Watch und ILGA World unterstützten die beiden Athletinnen.

Algeriens Präsident Abdelmadjid Tebboune gratulierte Khelif beim Kurznachrichtendienst X: «Sie haben Algerien, die algerischen Frauen und das algerische Boxen geehrt. Wir werden an ihrer Seite stehen, egal, wie ihre Ergebnisse ausfallen.»

Omar Khelif: «Mein Kind ist ein Mädchen.»

Imane Khelif ist in Algerien aufgewachsen, einem Land, in dem LGBTQ+-Personen verfolgt und bestraft werden und weder Name noch Geschlechtseintrag geändert werden können. Fotos zeigen Khelif als junges Mädchen, auch in ihrem Pass ist sie als Frau eingetragen, wie das IOC bestätigt.

Imane Khelif (rechts) als Kind in Algerien.
Imane Khelif (rechts) als Kind in Algerien.
Twitter

Khelifs Vater, Omar Khelif, sprach vor dem Viertelfinal-Fight mit Sky und AFP und erklärte: «Mein Kind ist ein Mädchen. Sie wurde als Mädchen erzogen. Sie ist ein starkes Mädchen. Ich habe sie zu einer fleissigen und mutigen Frau erzogen. Sie hat einen starken Willen zu arbeiten und zu trainieren.» Zudem zeigte er im französischen Fernsehen die Geburtsurkunde seiner Tochter.

Auch Khelifs Mutter Irene reagierte mit Stolz darauf, dass ihre Tochter dem enormen Druck standgehalten habe. «Sie ist mutig, trotz rassistischer und sexistischer Angriffe, die sie brechen sollen», sagte sie laut Nachrichtenagentur AP im algerischen Fernsehen.