Kjetil Jansrud ist einer der überraschendsten Teilnehmer an den Winterspielen in Peking. Der Norweger ist trotz lädiertem Knie in China dabei.
Es war ein Tag mit der ganzen Bandbreite an Emotionen für das norwegische Team, der erste Freitag im vergangenen Dezember. Freud und Leid, Glück und Pech waren vereint im gleichen Rennen.
Aleksander Kilde war im zweiten Super-G in Beaver Creek im US-Bundesstaat Colorado bei seinem erst dritten Weltcup-Einsatz nur zehneinhalb Monate nach einem Kreuzbandriss der grosse Sieger, Jansrud hatte sich darauf einzustellen, dass die Folgen seines schlimmen Sturzes das Saisonende bedeuten werden.
Die Diagnose bestätigte die Befürchtungen: Kreuzband- und Innenband-Beschädigungen im linken Knie, erneut im linken Knie wie knapp neun Jahre zuvor, als Jansrud an der Weltmeisterschaft in Schladming im Super-G einen Kreuzbandriss erlitten hatte. «Die Saison ist für mich zu Ende, aber ich bin motiviert, alles zu unternehmen, um auf die Rennpisten zurückzukehren», schrieb der Pechvogel vor drei Monaten in den sozialen Medien.
Zumindest die Spekulationen über das mögliche Karrierenende waren aus der Welt geschafft. Jansrud hatte auch im Alter von 36 Jahren noch nicht genug. Er wollte auf gar keinen Fall als Verletzter die grosse Skibühne verlassen. Sein Erfolgshunger war auch nach einem Olympiasieg im Super-G vor acht Jahren, vier weiteren olympischen Medaillen, dem WM-Abfahrtstitel vor drei Jahren und 23 gewonnenen Weltcup-Rennen noch nicht gestillt.
Angerissenes Kreuzband
«Die Operation war im Dezember oder im Januar vorgesehen. Der Zeitpunkt war mir eigentlich egal. Mir war nur wichtig, Ende Juli, Anfang August bereit zu sein für die Vorbereitung auf die kommende Saison», erzählte Jansrud im Zielraum in Yanqing nach dem ersten Training für die Olympia-Abfahrt.
Es sollte ganz anders kommen. Die Mediziner im Olympiatoppen in Oslo, dem Kompetenzzentrum von Norwegens Spitzensport, sahen die Möglichkeit der Selbstheilung, dass Jansrud also um einen operativen Eingriff herumkommen könnte. Weitere Untersuchungen hatten ergeben, dass das Kreuzband lediglich angerissen war.
Jansrud war es einen Versuch wert. Er trainierte auf Anraten der Ärzte zwischen Weihnachten und Neujahr und unterzog das Knie dem einen oder anderen Belastungstest. Der Versuch verlief zufriedenstellend, der Termin für die Operation wurde annulliert beziehungsweise an Landsfrau Kristin Lysdahl weitergereicht. Die Technik-Spezialistin hatte sich wenige Tag nach Jansruds Sturz einen Kreuzbandriss zugezogen. Sie hatte weniger Glück, der Befund war eindeutig.
Spezialschiene aus den USA
Jansrud seinerseits stand schon Mitte Januar wieder auf den Ski. Während zwei Tagen trainierte er Riesenslalom. Dank einer aus den USA importierten Spezialschiene bereitete ihm das verletzte Knie keine Probleme. Die Aussicht auf die Olympia-Teilnahme in China sorgte für einen zusätzlichen Motivationsschub. Zehn Tage nach den ersten Schwüngen im Schnee konnte Jansrud Vollzug melden. Seinem fünften Start an Winterspielen stand nichts mehr im Weg.