Im Sog von Jérémy Desplanches stösst auch Debütant Noè Ponti auf der Olympia-Bühne an die Weltspitze vor. Der Tessiner sorgt mit Bronze über 100 m Delfin für das zweite Schweizer Schwimm-Highlight.
Die Verlierer von gestern – so sie sich nicht unterkriegen lassen – sind die potenziellen Sieger von morgen. Wobei Noè Ponti nicht wirklich als Verlierer zu bezeichnen ist, nur weil er zuletzt an der EM in Budapest nicht das erreichte, was man von ihm erwartet hatte. Was auch er – damals im Mai noch keine 20 Jahre alt – selbst von sich erwartet hatte.
Ponti gehört wie der Thurgauer Antonio Djakovic und der Genfer Roman Mityukov zu den jungen und aufstrebenden Athleten von Swiss Aquatics. Sie alle Talente, die sich keine Grenzen setzen. Sondern offen zu ihren Ambitionen stehen. Die nicht einfach nur mit Finalteilnahmen zufrieden sind. Sondern vielmehr gewinnen wollen. Wenn schon nicht das Rennen, so zumindest eine Medaille.
Rekorde von 50 m Delfin bis 800 m Crawl
Was dem 21-jährigen Mityukov über 200 m Rücken an den kontinentalen Titelkämpfen als Dritter gelang. Auch die zwei Jahre ältere Zürcherin Lisa Mamié steht seit Budapest mit EM-Silber da. Ponti hingegen reiste mit leeren Händen aus der ungarischen Hauptstadt ab. Das Multitalent also, bezüglich Distanzen wie Disziplinen, das Schweizer Rekorde von 50 m Delfin bis 800 m Crawl sein Eigen nennt.
Der so vielseitige Tessiner setzt auch mal aus Spass andere Akzente. Tritt bei einem Meeting über die für ihn irrelevanten 200 m Lagen an – und bleibt dabei auf Anhieb unter der Grenze von zwei Minuten. Ein Unterfangen, das vor dem Olympia-Dritten und WM-Zweiten Desplanches keinem anderen Schweizer Schwimmer je gelungen ist.
Doch in Budapest verschleuderte Ponti seine Kräfte unnötig. Dank seiner Klasse stiess er immerhin in zwei Finals vor. Aber: «Weil ich 13 Rennen in fünf oder sechs Tagen bestritt, hatte ich zum EM-Abschluss über 100 Meter Delfin nicht mehr genügend Energie.» Rang 7 entsprach deshalb nicht seinem immensen Potenzial.
Entspannter, immer gut gelaunter Typ
Doch der Athlet, sein Trainer Massimo Meloni im Leistungszentrum Tenero und nicht zuletzt auch der Verband um Leistungssportchef Markus Buck zogen die richtigen Erkenntnisse aus dem Geschehen in Ungarn. Das neue Motto: Weniger ist mehr. So war es für Ponti möglich, in gut zwei Monaten vom entkräfteten EM-Siebten zum vor Energie strotzenden Olympia-Bronzegewinner zu avancieren.
Ponti, ein extrem entspannter und immer gut gelaunter Typ, ist ein Athlet, der wie gemacht ist für die grosse Bühne. Einer, der sich auch nicht dadurch ablenken und vielleicht sogar einschüchtern lässt, nur weil Caeleb Dressel auf der Bahn neben ihm schwimmt. Vielmehr lässt sich der 20-Jährige aus Gambarogno durch den grossen US-Star und nachmaligen Olympiasieger anspornen. Sieht es sogar als Vorteil an, dass er die Pace des Weltrekordhalters neben ihm (fast) annehmen und seine Limiten verschieben kann.
Noch am Freitag sprach Ponti davon, wie er gut ein Jahr zuvor von der Teilnahme an den Olympischen Spielen geträumt habe. Wären diese nicht Corona-bedingt verschoben worden, sie hätten womöglich ohne den damals etwas stagnierenden Tessiner stattgefunden. Doch im Dezember 2020 gelang Ponti mit 51,15 über 100 m Delfin der erste Coup. A-Limite für Tokio geschafft und zugleich Position 3 in der Weltrangliste zu jenem frühen Zeitpunkt der Saison. Und gleichzeitig die Gewissheit, dass sein Traum in Erfüllung geht.
Wechsel nach North Carolina
Ponti merkte schnell, dass schon in Tokio – und nicht erst in drei Jahren in Paris – mehr möglich ist: «Deshalb setzte ich mir den Final zum Ziel.» Nur, um sich als Halbfinal-Dritter bewusst zu werden, «dass ich auch eine Medaille gewinnen kann». Voraussetzung dafür, so Ponti: «Wenn ich wieder 50,7 oder 50,8 schwimme.»
Vom Aussenseiter, der unbeschwert antreten kann, zum Mitfavoriten, der etwas zu verlieren hat – in der Nacht vor dem Final kann viel passieren. Aber auch diese mental nicht einfach zu bewältigende Aufgabe glückte Ponti meisterhaft. Indem er sich keinen Druck auferlegte, sondern sich glaubhaft sagte: «Ich wäre mit jedem Platz im Final zufrieden gewesen.»
Noè Ponti, mit Schweizer Rekord von 50,74 Olympia-Dritter über 100 m Delfin, gehört definitiv zu den Siegern. «Das ist erst der Anfang der Karriere», hofft der Tessiner, der ab Herbst an der North Carolina State University ein Wirtschaftsstudium beginnt. Für diesen Schritt ins Ungewisse fühlt er sich bereit. Ist er bereit. «Umso mehr ich nirgends in der Schweiz eine vergleichbare Möglichkeit habe, Studium und Schwimmen so zu kombinieren.»