Reto Nydegger, Trainer der Schweizer Speedfahrer, schiebt die Verantwortung der Absage der Abfahrt am Weltcup-Finale in einem unbedachten Moment den Organisatoren zu. Und sorgt damit für Unmut.
Es war ein kleiner Satz mit grosser Wirkung, entsprungen aus einem ziemlichen Frust heraus. Als nach dem Super-G am Donnerstag auch die Abfahrt abgesagt wurde, bemühte sich Reto Nydegger in einem zufälligen Gespräch mit dem «Blick» zunächst um Contenance – und wurde dann doch konkret: «Wenn ich in diesem Moment sagen würde, was ich wirklich denke, dann würde es mir wohl so ergehen wie meinem Vorgänger Sepp Brunner 2017 – man würde mich sehr wahrscheinlich entlassen», sagte er zuerst. Und dann: «Es reicht halt nicht, wenn man erst zwei Wochen vor dem ersten Rennen mit der Grundpräparation der Rennpiste beginnt. Das muss zwei Monate zuvor passieren.»
Ein happiger Vorwurf des sonst gemässigten Berners. Und ein Vorwurf, den sich Peter Engler, der OK-Präsident, nicht gefallen liess und den auch Swiss-Ski nicht stehen lassen wollte. Noch am Abend verschickten die Organisatoren und Swiss-Ski eine gemeinsame Mitteilung. In einer Video-Schaltung zum Führungsgremium der Organisatoren sagte Alpin-Direktor Walter Reusser: «Liebes OK, ich habe gesehen, wie ihr alle gekrampft habt. Wir alle wissen, dass das Wetter an den Rennabsagen Schuld war – ganz sicher nicht ihr. Ich möchte mich persönlich bei euch entschuldigen.»
Tags darauf bekräftigte Engler, seit 2018 OK-Präsident der Weltcuprennen in der Bündner Freizeit-Destination und bis Ende April noch CEO der Lenzerheide Bergbahnen: «Den Vorwurf, dass wir mit der Präparation der Piste zu spät angefangen haben sollen, muss ich klar widerlegen. Wir begannen Anfang Dezember mit dem Aufbau und waren Anfang Februar fertig mit der ganzen Weltcup-Piste.» Dass die Piste dann für das Publikum freigegeben wurde, sei normal. Das mache man an jeder anderen Destination auf der Welt auch.
Positive Feedbacks im Vorfeld
Als vor zweieinhalb Wochen die Schweizer Männer und anschliessend die Frauen zum Trainieren in Lenzerheide waren, habe es keinerlei Beanstandungen gegeben – auch nicht, als man die Piste auf Wunsch der Männer verfeinert habe und sie die Athleten noch einmal befuhren, so Engler. «Wir bekamen nur positive Feedbacks, von den Männern und den Frauen. Alle haben geschwärmt. Der Trainer, der uns jetzt kritisierte, war auch dabei.»
Das Problem, dass die Piste vor der Abfahrt brach, war demnach wie kommuniziert das schlechte Wetter, das kurz vor dem Finale aufzog und sich hartnäckig hielt. «Vom Samstag auf den Sonntag gab es Schnee, sehr feuchten Schnee, der die Unterlage etwas angriff. Vom Sonntag auf den Montag kam dann ein halber Meter Neuschnee dazu, vom Montag auf den Dienstag noch einmal 30 Zentimeter in der Nacht auf Donnerstag wiederum 30 Zentimeter.»
Kommt hinzu, dass das grosse Gefälle in mehreren Passagen eine zusätzliche Herausforderung darstellt. Man muss kein Pistenhelfer sein, um sich die Arbeit vorstellen zu können, die in den letzten Tagen anfiel. «Wir waren mit 400 Leuten auf dem Berg, begannen jeweils zwischen drei und fünf Uhr morgens und taten, was wir konnten», rechtfertigte sich Engler. Er verstehe die Emotionen hinter den Absagen. «Auch ich hätte mir gewünscht, dass Marco Odermatt den Super-G und die Abfahrt fahren kann.»
Die schützende Hand des Alpin-Direktors
Am Rande des Team-Wettkampfs vom Freitag verlieh Reusser seinem Bedauern über Nydeggers Aussagen Nachdruck. Er nahm den Trainer aber auch in Schutz. «Über allem steht die Entschuldigung», betonte er. «Seine Aussage war nicht geschickt, aber dass deshalb so auf ihn geschossen wird, hat er auch nicht verdient. Ich habe mich mit ihm unterhalten, er hat sich entschuldigt und gesagt, er sei ein 'Lööli'. Damit soll es auch gut sein. Er meinte es nicht so drastisch, wie es rüberkam und beabsichtigte auch nicht, es in die Medien zu tragen. Ich denke, es war ein guter 'Lehrblätz' für unseren Abfahrtstrainer zum Ende der Saison.»
Mit der Feststellung, dass die Piste in einem schlechten Zustand war, hatte Nydegger recht. Auch Trainer anderer Teams, darunter der Österreicher, übten Kritik. Doch jene aus dem Schweizer Trainerlager traf Engler am schwersten: «Wenn die eigenen Leute auf dich schiessen, trifft dich das schon. Reto hat noch mitgeholfen, die Piste im obersten Teil zu kreieren. Er weiss um die Tücken dort. Käme die Kritik wie in Crans-Montana von einer Athletin (Lara Gut-Behrami – die Red.), hätte ich mehr Verständnis. So tut es weh – mir und auch den ehrenamtlichen Helfern, die teilweise von drei, vier Uhr morgens auf dem Berg und erst am Abend wieder zu Hause waren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das wirklich so gesagt hat und werde mich mit ihm aussprechen.»