Nach der WM ist vor den nächsten Grossanlässen: Hippolyt Kempf, Nordisch-Direktor bei Swiss-Ski, blickt im Interview mit Keystone-SDA auf die Herausforderungen der nächsten Jahre.
Hippolyt Kempf, die WM in Oberstdorf ist zu Ende. War es richtig, einen solchen Grossanlass in Zeiten einer Pandemie durchzuführen?
Für den Wintersport ist das elementar. Ohne Präsenz, ohne Rennen habe ich keine Sponsoren für die Athleten und die Teams. Für den nordischen Skisport war es ganz wichtig, dass das stattfinden konnte. Absagen sind in erster Linie schlecht für den Veranstalter und mittel- und langfristig auch für alle anderen Nationen.
War das auch die Motivation, das Weltcup-Finale der Langläufer, das in Norwegen abgesagt wurde, ins Engadin zu holen?
Das sind zwei Chancen, die sich ergeben. Man kann dem Weltcup und dem OK des Engadin Skimarathons helfen. Ich durfte in Oberstdorf von sehr vielen Seiten Dank entgegen nehmen, dass dies möglich ist.
Es gibt die Idee, dass die Schweiz in absehbarer Zeit erstmals eine Nordisch-WM durchführen will. Ist das realistisch?
Wir wollen jetzt zuerst mal die Biathlon-WM (2025 in Lenzerheide) angehen und wenn wir das in trockenen Tüchern haben, werden wir die Idee nordische Ski-WM weiter verfolgen. Zwischen 2029 und 2031 müssten wir mal ein solches Kandidatur-Dossier auf dem Tisch haben. Aus meiner Optik ist es realistisch, zumal es heute immer mehr verbreitet ist, dass nicht alle Wettkämpfe an einem Ort stattfinden müssen. So wird auch die Schweiz zu einer Option.
Trotzdem bleiben die Sprungschanzen in der Schweiz ein Problem.
Das ist die grosse Herausforderung, die wir angehen müssen. Wenn wir sehen, was die Deutschen in Oberstdorf für Anlagen haben, ist das unglaublich. Das gibt es bei uns nicht. Langfristig geht es darum, die Ansprüche an die Infrastruktur, die es international gibt, zu akzeptieren. Sämtliche Anlagen bei uns sind im Vergleich schlecht entwickelt, das muss man neidlos anerkennen. Wir sind in der Schweiz schlanker aufgestellt, das hat Vorteile, aber international ist der Standard höher.
In der Schweiz scheitert es sehr häufig an den Gemeinde-Finanzen, die für solche Projekte gesprochen werden müssten. Wie wollen Sie den Steuerzahler überzeugen, für ein paar Wintersport-Profis Geld locker zu machen?
Das ist die grösste Herausforderung, die der Schweizer Schnee- und Leistungssport allgemein in den nächsten Jahren haben wird. Die eine Seite sind die Medaillen, die internationale Ausstrahlung, der Stolz, der dadurch generiert wird. Die grosse Herausforderung für den Schweizer Leistungssport ist es, zu belegen, dass die Spitzenleistungen auch Impulswirkungen haben für die Sportaktivität, die Sportentwicklung in einem Dorf.
Wie meinen Sie das?
Wenn ich nachweisen kann, dass dank einer Ski-WM auf der einen Seite junge Talente kommen, aber auch dass man die Sportinfrastruktur verbessern und für jedermann zugänglich machen kann, dann legitimiert sich der Steuerfranken. Wir müssen den Leistungssport erfahrbar machen für ganz viele Leute in der Breite.
Das geht in einigen Disziplinen einfacher als in anderen.
Ich bin froh, bin ich im Langlauf tätig, denn das ist ein sehr einfacher Sport. Stellen sie sich vor: Sie können diese Woche die Strecke des Engadin Skimarathon bereits ablaufen. Sie ist präpariert, sie können ein GPS anlegen und sich nachher vergleichen mit einem Klaebo oder Bolschunow. Das ist genau die Erfahrung, die wir besser weitergeben müssen. Im Langlauf ist es einfach, die Begeisterung ist gross in der Schweiz, diese müssen wir noch mehr wecken, wenn wir etwas vom Steuerfranken haben wollen.
Schauen wir noch auf die nächste Saison mit den Olympischen Spielen in Peking. Wie kann Dario Cologna die Lücke zu den Russen und Norwegern schliessen?
Sein ganz grosses Ziel ist Peking. Dort gibt es grosse Herausforderungen. Wenn wir es schaffen, diese sehr gut zu meistern, hat er die Chance vorne dabei zu sein. Wir müssen daran arbeiten, dass er bestmöglich auf diese Verhältnisse vorbereitet ist. Sein sportliches Alter ist relativ hoch, frühere Verletzungen wirken sich noch immer aus, wenn man ganz genau hinschaut. Da müssen wir auf der Hut sein und alte Verletzungen bestmöglich auskurieren.
Was gilt es sonst noch zu beachten?
Dann muss die ganze Feinabstimmung der Kraft noch etwas subtiler werden. Die Oberkörperarbeit muss noch besser der Beinarbeit angepasst werden. Drittens muss er mit zunehmendem Alter überlegen: Trainiere ich mehr oder trainiere ich besser? Es ist ganz klar, dass es Richtung Qualität gehen muss. Das heisst, weniger und besser trainieren. Das ist die Challenge, die er zusammen mit seinen Trainern angehen muss. Und der vierte Punkt ist sicher, dass er sich auf die wichtigen Wettkämpfe fokussieren muss in Bezug auf Trainings- und Wettkampfaufbau. Er darf nicht wie Bolschunow nach Peking gehen und sechs Wettkämpfe laufen.
Die Schweiz war in Oberstdorf in 11 von 24 Wettkämpfen nicht vertreten. Das kann Ihnen nicht gefallen.
Bei der Hälfte machen wir gar nicht mit, das ist für mich nicht akzeptabel. Was wir erreicht haben ist gut und okay, aber wenn wir unsere ganze Förderkraft auf die Hälfte reduzieren, müssten wir in dieser Hälfte eigentlich besser sein. Wenn die Holländer im Wintersport alles in den Eisschnelllauf investieren, sind sie am Ende im Medaillenspiegel trotzdem vor uns, weil sie da einfach alles gewinnen.
Was muss passieren, um das zu ändern?
Es kann nicht sein, dass wir im Frauen-Skispringen nicht dabei sind. Da müssen wir in die langfristige Förderung gehen. Wir sind noch nicht ganz da, dass wir auf grossem Niveau fördern, aber es ist mein Wunsch, dass wir erst beim Frauen-Skispringen vorwärts machen und dann auch in der Kombination wieder kommen.
Es fehlt auch im Frauen-Langlauf an der Breite.
Nein, da sind wir viel besser aufgestellt. Wir haben an der Junioren-WM 2020 in der Staffel gewonnen, die werden nächste Saison dazustossen und wir werden sehr viel Freude an ihnen haben. Es sind nicht nur Laurien (van der Graaff) und Nadine (Fähndrich), es sind vier sehr starke Läuferinnen, die nachrücken. Da freue ich mich extrem darauf.
Wir haben in der Schweiz mit Dario Cologna und Simon Ammann zwei vierfache Olympiasieger. Warum konnte dies nicht stärker genützt werden?
Im Langlauf gibt es einen riesigen Dario-Effekt. Wir sind bei den Männern und den Frauen breit aufgestellt. Im Skispringen hat das nicht funktioniert. Die Förderbreite ist kurzfristig gestiegen, aber langfristig nicht höher geworden. Da hat man es verpasst, die einmaligen Erfolge von Simon Ammann umzumünzen in breit abgestützte Klub- und Verbandsarbeit. Im Langlauf haben wir volle Regionalkader und Startlisten, im Skispringen nicht.