Lara Gut-Behrami hofft auf einen sorgenfreien Winter. Die Zeit der angeschlagenen Gesundheit will sie hinter sich lassen.
Saisonauftakt in Sölden. Die Riesenslaloms auf dem Rettenbach-Gletscher sind zur Routine geworden. Seit fast 30 Jahren wird mit den Rennen im Ötztal der Weltcup-Winter eingeläutet. Eine erste Standortbestimmung nennen es die Athletinnen und Athleten, einen ersten Test unter Wettkampfbedingungen, einen ersten Tag der Wahrheit, der über den eigenen Formstand und den der Konkurrenz Klarheit schaffen soll.
Die Gewohnheit begleitet Lara Gut-Behrami schon längst nach Sölden. Die Tessinerin steht am Samstag zum 14. Mal am Start. Sie hat die gesamte Bandbreite an Emotionen ausgelotet, Höhen und Tiefen einer Spitzensportlerin sozusagen im Schnelldurchlauf erlebt – und das im vergangenen Winter Erlebte auf eine einzelne Station reduziert.
Eine Lungeninfektion und ihre Folgen
Dieser letzte Winter! Er war für Gut-Behrami eine Saison der Extreme – mit dem Olympiasieg im Super-G als absolutem Hoch und wegen den körperlichen Rückschlägen reich an Tiefpunkten. Die gesundheitlichen Probleme zogen Untersuchungen und Analysen nach sich. Sie förderten eine Lungeninfektion zutage, eruiert wurden dem Pfeifferschen Drüsenfieber ähnliche Symptome. «Irgendwann muss ich daran erkrankt sein. Wann das war, weiss ich nicht», blickt Gut-Behrami auf eine Zeit der Ungewissheit und entsprechender Sorge zurück.
Behandlungen mit Kortison-Medikamenten zeitigten nicht den unmittelbaren Erfolg. Es wurde Sommer, bis die Patientin wieder gesund war. Wahrscheinlicher Auslöser der Infektion, so kamen die Ärzte zum Schluss, war die Corona-Erkrankung, die Gut-Behrami ab Mitte Dezember für vier Wochen von den Rennpisten fernhielt. Es folgte eine Rückkehr auf Zeit. Fehlende Kraft und ein müder Körper zwangen sie im Vorfeld der Olympischen Spiele zum erneuten Startverzicht. Die Zahl verpasster Rennen stieg bis Ende Saison auf zehn an. Von den neun Riesenslaloms hatte sie nur gerade drei bestreiten können.
Im Juli gabs dann endlich erfreuliche Kunde. Gut-Behrami war geheilt. Die lange Pause hatte ein Ende, die Phase mit ausschliesslich regenerativem Training ebenso. Nach fast einem halben Jahr Absenz stand Gut-Behrami wieder auf den Ski. Die Zeit der Rekonvaleszenz wurde nicht nur genutzt, um den Ursachen der Erkrankung auf den Grund zu gehen. Es wurden auch Lösungen zur Vorbeugung gesucht.
Einen Ansatz fanden Gut-Behrami und die Verantwortlichen von Swiss-Ski im Physio-Bereich. In den Trainingslagern in Südamerika hatte die Tessinerin einen Therapeuten an ihrer Seite, jenen Spezialisten, der sie auch an ihrem Wohnort Udine in Italien betreut. «Das sind Kleinigkeiten, die aber am Ende der Saison einen riesigen Unterschied machen können.»
14 Jahre Weltcup und ihre Spuren
Gesundheit beruht auch auf Erholung. «Ich regeneriere nicht mehr gleich wie mit achtzehn Jahren», sagt Gut-Behrami. Stand also eine Dosierung zur Debatte, eine Einschränkung im persönlichen Rennkalender? «Nein. Es war gerade umgekehrt. Wir suchten einen Weg, damit ich in meinen drei Disziplinen alle Rennen fahren kann. Einen Winter wie den letzten will ich nicht mehr erleben.»
14 Jahre im Weltcup hinterlassen Spuren. Die Einschätzung ihrer körperlichen Verfassung bereitet Gut-Behrami Mühe. «Es ist nicht immer leicht für mich. Ich muss lernen zu akzeptieren, dass einem nach so einer langen Zeit nicht alles leicht fällt. Andererseits hätte ich nie gedacht, dass ich als gut Dreissigjährige so fit sein kann. Ich fühle mich körperlich besser als mit zwanzig. Das hängt sicher auch mit dem Training mit Alejo zusammen.» Mit dem Spanier Alejo Hervas, dem Nachfolger des Wallisers Patrick Flaction, arbeitet Gut-Behrami im konditionellen Bereich seit dreieinhalb Jahren zusammen.
«Ich fühle mich körperlich besser als mit zwanzig»
Olympiasiegerin Super-G
Diese Zusammenarbeit könnte noch eine Weile anhalten, genauso wie die Karriere von Gut-Behrami. «Es gibt Tage, an denen ich denke, dass die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Mailand/Cortina d'Ampezzo (2026, Red.) überhaupt kein Problem sein würde. Da sind aber auch Momente, in denen ich mir nicht mehr sicher bin, ob ich das Ganze noch mag, ob ich nicht lieber etwas anderes machen würde.»
Die Zweifel sind zumindest vorderhand vom Tisch. «Nach den ersten Schwüngen im Sommer in Chile bin ich mir bewusst geworden, dass ich das Rennfahren noch liebe. Ich geniesse es, auch dank meinem Umfeld und dem Umstand, dass ich gesund bin. Das gibt mir eine gewisse Ruhe. Ob dem allerdings noch ein Jahr, zwei oder drei Jahre so ist? Keine Ahnung.»
Die Liebe zum Skisport fördert auch die Gewissheit, «dass ich in den letzten zwei Wintern technisch gut unterwegs gewesen bin», ergänzt Gut-Behrami. «Es gibt keine grossen Baustellen. Ich stehe auf die Ski – und es läuft umgehend gut. So macht es Spass.»
Spass will Gut-Behrami auch am Samstag haben. Der erste richtige Formtest soll ausschliesslich positive Emotionen freisetzen.