Ski-Auftakt im Zeichen des Klimawandels«Wir müssen Mutter Natur respektieren»
dpa/amo
23.10.2022 - 21:15
Drei Absagen an einem Tag, nur ein Rennen vor Traumkulisse. Das Wetter und der Klimawandel überschatten den alpinen Saisonstart. Der Sport muss sich anpassen, fordern Experten. Der Weltverband räumt Fehler ein.
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23.10.2022, 21:15
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Der Riesenslalom der Damen abgesagt, die neuen Hochglanz-Abfahrten am Matterhorn ersatzlos gestrichen, einzig beim Herrenrennen in Sölden schönes Gletscher-Panorama: Das regnerische Wetter hat gleich zu Beginn der alpinen Weltcup-Saison für Stimmungsdämpfer gesorgt. Die Debatte um einen, den Umweltbedingungen angepassten Rennkalender ist neu entbrannt.
Aufgrund des Klimawandels steht der Skirennsport vor einer ungewissen Zukunft. Braucht es schon Rennen im Oktober? Viele Trainer und Fahrer meinen nein. Der Weltverband Fis blieb bislang stur. Doch Chef-Renndirektor Markus Waldner gesteht nun Fehler ein.
Fis muss bei der Planung von Rennen über die Bücher
Regen, milde Temperaturen und Schneemangel wirbeln den Alpin-Auftakt durcheinander und sorgen für grau-braune Bergkulisse statt Winter Wonderland. Immerhin der Herren-Riesenslalom auf dem Rettenbachferner am Sonntag ging planmässig über die Bühne. «Letztlich müssen wir erkennen, dass die Natur immer stärker ist als der Mensch», sagte der Organisations-Chef der Zermatter Weltcup-Abfahrt, Franz Julen.
Während Fis-Präsident Johan Eliasch sein «iconic Race» am Matterhorn weiter verteidigte, räumte Fis-Chef-Renndirektor Waldner nach der Absage Planungsfehler ein. Künftig müsse «speziell bei der Terminierung des Events» nach einer Lösung gesucht werden. «Wir müssen Mutter Natur respektieren. Wir haben den Klimawandel und extrem warme Sommer. Das sind Signale, die wir respektieren müssen», sagte Waldner.
Ski-Fiasko deutete sich schon im Sommer an
Kritik am frühen Saisonstart gibt es schon lange, jetzt wird sie wieder lauter. «Der Zeitpunkt für diese Abfahrten am Matterhorn kommt viel zu früh. Es kann nicht sein, dass die Veranstalter so einen Aufwand betreiben müssen, um ein Rennen durchzuführen. Da werden Gletscherspalten zugeschoben und aufgrund der Pistenlänge findet eine enorme Beschneiung statt», sagte Ex-Skistar Felix Neureuther der Deutschen Presse-Agentur.
Dabei hatte sich das Fiasko schon im Sommer angedeutet. Der Gletscher in Saas-Fee, wo zahlreiche Nationen ihre Trainingslager absolvieren, musste wegen zu wenig Schnee zeitweise geschlossen werden. In Zermatt stieg die Null-Grad-Grenze auf über 5100 Meter – Skifahren war nicht möglich. «Bislang waren diese Gebiete immer eine sichere Bank», sagte die dreimalige Olympiasiegerin Maria Höfl-Riesch dem «Tagesspiegel». «Weil es hier bis auf 4000 Meter hoch geht. Hier haben auch Mannschaften trainiert, die es sich nicht leisten konnten, nach Neuseeland zu reisen.»
Schneeproblem im Skisport wird sich verschlimmern
Vielen Nationen blieb wieder nur der Weg nach Übersee. Klimaschonend ist es nicht, einen Ski-Tross samt Ausrüstung ans andere Ende der Welt zu verfrachten. Aber notwendig, um konkurrenzfähig zu bleiben. Um der Entwicklung entgegenzuwirken, würde Neureuther den Saisonstart in den November verschieben. «Es reicht doch, mit dem Training anzufangen, wenn es auf den Gletschern schneit», sagte er. Nur schneit es künftig immer später.
In einer Höhe von 3000 Metern kommt der Schnee in der Regel erst Mitte September, wie Glaziologe Olaf Eisen vom Alfred-Wegener-Institut, dem Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, der dpa erklärte. «In Zukunft wird sich das weiter in den Oktober verlagern.» Je weiter man in die Zukunft schaue, «desto unwahrscheinlicher wird es, dass sich Sommerskigebiete auf Gletschern erhalten», so Gletscherforscher Eisen.
«Ich glaube nicht, dass der Wintersport gänzlich aussterben wird»
Der Weltverband Fis hat mit Eliasch eine Person an der Spitze, die in der Szene nicht gerade als Nachhaltigkeits-Reformer gilt. Mit den Matterhorn-Rennen, so der 60-Jährige, wollte er die Lücke im Kalender nach dem Saisonauftakt in Sölden schliessen und den CO2-Abdruck reduzieren. Schliesslich biete die Piste den Teams grossartige Trainingsmöglichkeiten. Fakt ist aber: In diesem Sommer waren die Bedingungen in Zermatt alles andere als grossartig.
Wie der Alpin-Sport in 20 Jahren aussieht, weiss niemand. «Ich glaube nicht, dass der Wintersport gänzlich aussterben wird», sagte Höfl-Riesch. Doch Veränderungen erwartet auch die 37-Jährige: «Vielleicht wird es auch mal Rennen auf der Südhalbkugel geben».