Italienerin redet, wie sie fährt Sofia Goggia redet, wie sie fährt

jos, sda

3.12.2021 - 10:00

Sofia Goggia will auch diese Saison ihre Klasse zeigen.
Sofia Goggia will auch diese Saison ihre Klasse zeigen.
Bild: Getty

Sofia Goggia ist die beste Abfahrerin der Gegenwart. Ist die 29-jährige Italienerin aus Bergamo gesund, reiht sie mit ihrem kompromisslosen Fahrstil Sieg an Sieg. Übernimmt sie sich, droht der Gang ins Spital. Sie redet, wie sie fährt.

3.12.2021 - 10:00

Chateau Lake Louise, Termin im kleinen Kreis mit der Speedkönigin der letzten Saison. Sofia Goggia huscht die geschwungene Treppe hoch, platziert das auf beiden Seiten zerschmetterte Smartphone auf der Ablage vor ihrem Stuhl, setzt sich hin und legt los.

Eine kurze Entschuldigung für die kleine Verspätung, ein paar Sätze zu ihrer Vorbereitung, dann sprudelt es aus ihr heraus. Sie redet drauflos, wie sie fährt: ungebremst, wild, mal spannend, mal schwer verständlich. Als sich das Gespräch um ihr letztes Malheur dreht, den Sturz in Garmisch-Partenkirchen Anfang des Jahres, hält Goggia kurz inne. «Unbelievable», sagt sie mit italienischem Akzent, «unbelievable». Unglaublich, unglaublich.

Spagat auf der Touristenpiste

An diesem besagten 31. Januar, acht Tage vor dem WM-Auftakt in Cortina d'Ampezzo, stürzte Goggia nicht im Rennen. Es passierte auf der Touristenpiste, nachdem der Super-G wegen Nebels abgesagt worden war. Mit vollgepacktem Rucksack wollte Goggia ein paar Schwünge machen, da zog es ihr bei einem Übergang vom Flachen ins Steile plötzlich die Ski auseinander. Goggia im Spagat, «wie eine Kunstturnerin». Sie sei halt eine Chaotin, sagt sie.

Noch im Fallen hörte Goggia, wie es im linken Knie knackte. Was sie sofort merkte, bestätigte ein MRI. Sie zog sich einen Bruch des Schienbeinkopfes zu, ausserdem geriet das Innenband in Mitleidenschaft. Dass sie dadurch die Heim-WM verpasste, sei «einer der härtesten Momente» gewesen in ihrer Karriere. Sie wäre in Topform gewesen, zu diesem Zeitpunkt habe alles gepasst, schildert sie.

Körperliche Rückschläge und andere Schockmomente hatte die Frau aus Bergamo, die 2017/18 die Dominanz von Lindsey Vonn durchbrach und in jenem Winter Olympiagold in Pyeongchang gewann, davor schon einige erlebt. Unter anderem erlitt sie 2013 einen Kreuzbandriss, musste sie die Saison 2014/15 wegen erneuter Kniebeschwerden frühzeitig abbrechen und brach sie sich vor dem Winter 2018/19 den Knöchel. Bei einem spektakulären Autounfall blieb sie 2019 wie durch ein Wunder unverletzt.

Drei Springpferde in einem Team

Noch am Anfang des Gesprächs in Lake Louise wird Goggia gefragt, wie es mit drei Stars im italienischen Team funktioniere, mit Federica Brignone, Marta Bassino und ihr. Sie, die mit ihrer kompromisslosen Art seit dem sensationellen 4. Platz an der WM 2013 in ihrem erst fünften Rennen bei der Elite immer wieder aneckt, mag die bildliche Sprache, also antwortet mit einer etwas schrägen Metapher: «Wir waren drei Springpferde in einer Pampa. Gianluca Rulfi, der noch immer unser Trainer ist, war vielleicht der Einzige, der diese drei unterschiedlichen Pferde handeln konnte.»

Sofia Goggia kennt auf der Piste kein Limit.
Sofia Goggia kennt auf der Piste kein Limit.
Bild: Getty

Goggia spricht in der Vergangenheit, weil es inzwischen weniger Überschneidungen gibt zwischen den drei italienischen Weltklasse-Athletinnen. Brignone, die Gesamtweltcupsiegerin von 2019/20, macht vermehrt ihr eigenes Ding mit ihrem Bruder Davide, wechselt im Training öfter zwischen den Disziplinen und auch den Geschlechtern. Man bewege sich jetzt öfters alleine, bestätigt Goggia und bleibt im gleichen Sprachbild. Zusammen sei man stark, doch alleine liesse sich das Individuum besser züchten.

Einzelsportler in der Gruppe

Es ist zweifellos eine explosive Mischung im italienischen Team. Goggia versucht, sich diplomatisch auszudrücken: Sie kenne gut befreundete Teamkolleginnen und solche, die sich gegenseitig pushten. «Du lebst mit Leuten, die du nicht selbst ausgesucht hast. Und wir sind alle Frauen.» Dass es da Konflikte gebe, es auch mal knalle untereinander, liege in der Natur der Sache. «Es gibt gute Momente und solche, in denen man sich nicht ausstehen kann», sagt Goggia.

Was sie nicht erwähnt, ist, dass Spannungspotenzial im Skirennsport unweigerlich vorhanden ist. Wo ehrgeizige Einzelsportlerinnen in Teams organisiert sind, sind Reibungspunkte programmiert. Sofia Goggias Leistung leidet nicht darunter. Ihre Achillesferse sind die Verletzungen, das manchmal fehlende Gespür für die Risikodosierung.

jos, sda