Skirennfahrer Vincent Kriechmayr etabliert sich im Speed-Bereich im obersten Segment. Dem Aufstieg des Österreichers in den Kreis der Besten liegt ein Umdenken zugrunde.
Beat Feuz hat es zuletzt bei jeder Gelegenheit betont. Er adelt Vincent Kriechmayr Mal für Mal als den technisch stärksten aller aktuellen Abfahrts- und Super-G-Spezialisten. Ob hinter der Einschätzung des Emmentalers Kalkül steckt, bleibe dahingestellt.
Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte das weltmeisterliche Lob Kriechmayr nervös gemacht und womöglich verunsichert. Mittlerweile nimmt der Oberösterreicher solche Komplimente mit einem Lächeln zur Kenntnis – und ist er um eine Replik nicht verlegen. Er weiss seine Fähigkeiten sehr wohl selber einzuschätzen. Seit er sich vom Platz- zum Siegfahrer entwickelt hat, hat Kriechmayr ein gewachsenes Selbstvertrauen und ein ganz anderes Selbstverständnis – ohne überheblich zu wirken.
Die prägende Jugend
Kriechmayr ist trotz des sportlichen Aufstiegs bescheiden geblieben. Wer auf einem Bauernhof aufwächst, seine Jugend abseits des grossen Trubels verbringt und auch mal die wahren Probleme im Leben mitbekommt, für den ist die Bodenhaftung eine Selbstverständlichkeit. Wenn er von den renn- und trainingsfreien Tagen erzählt, an denen er beim Melken und Misten mithilft, oder davon, dass der Rest der Familie auf die eine oder andere Annehmlichkeit verzichtet hat, um ihm den Weg zum Spitzensportler zu ebnen, dann ist Kriechmayrs Haltung naheliegend.
Die Bescheidenheit endet am Pistenrand. Der Skirennfahrer Kriechmayr ist immer und überall auf der Suche nach Perfektionierung. Stück für Stück fügt er die Einzelteile zusammen, die aus ihm einen Siegfahrer gemacht haben. Trotz prägender Vergangenheit lebt Kriechmayr im Jetzt und Heute. Zurückschauen mag er nicht. Sein Blick ist in die Zukunft gerichtet. Sich mit Verflossenem zu beschäftigen, nennt er «gefährlich» im Sinne von Trägheit und Sättigung. Auf dem Erfolg ausruhen mag er sich nicht. «Ich schaue stets, was ich besser machen kann, sei es in Bezug auf das Material, die Technik oder den konditionellen Bereich. Ich will und muss mich weiter steigern, denn auch die Konkurrenz verbessert sich stetig.»
Auch als Gewinner von vier Weltcup-Rennen ortet Kriechmayr bei sich weiteres Steigerungspotenzial. Davon nimmt er selbst seine profunden technischen Fähigkeiten nicht aus. Während der Vorbereitung auf die laufende Saison hat er den Fokus im Besonderen auf die Technik gelegt. Sie ist und bleibt für ihn die wichtigste Komponente für erfolgreiches Wirken im Skisport.
Der verhinderte Erfolg
Zuvor gab es Zeiten, da standen andere Details im Vordergrund. Kriechmayr musste lernen, sich zurückzunehmen, sich in seinem Tun auf der Rennpiste zu zügeln. Oft hat er das Limit zu sehr ausgereizt. Oft ist er sich mit zu forschem Auftreten selber im Weg gestanden und haben Fehler in seinen Fahrten mehrfach den Erfolg verhindert.
Die zu hohe Fehlerquote hat zur Verkrampfung geführt. Ein Teufelskreis – aus dem sich Kriechmayr mittlerweile befreit hat. «Lockerheit ist eine Kopfsache», sagt er, der nicht erst dank dem Sieg am vergangenen Samstag in der Lauberhorn-Abfahrt die Leichtigkeit seines sportlichen Tuns wiedererlangt hat.
Kriechmayr ist mit sich im Reinen. Die Ruhe und Gelassenheit, im Privaten längst zwei seiner prägenden Charakterzüge, hat er endlich auch als Berufsmann erlangt. Er fährt im Wortsinn gut damit.