Er spielte schon mit ganz Grossen wie Zlatan Ibrahimovic zusammen und stellte selbst Kylian Mbappé in den Schatten. In Leipzig wollte er zum Top-Star werden, doch dann fiel der Franzose in ein Loch. Jetzt will Jean-Kévin Augustin in Basel seine Karriere neu lancieren. Zu spät ist es noch nicht.
Mit Jean-Kévin Augustin verpflichtet der FC Basel einen Spieler, dem noch vor nicht allzu langer Zeit eine grosse Karriere vorausgesagt wurde. Ein Stürmer «mit unglaublicher Qualität», wie Alex Frei sagt. Der FCB-Trainer spricht aber auch von «Entscheiden Augustins in jüngster Vergangenheit, die nicht ganz richtig waren». Durch diese Fehler kam Basel überhaupt erst dazu, das einst hochgelobte Talent ablösefrei (!) zu verpflichten und ihn mit einem Vertrag bis 2025 auszustatten.
Was meint Alex Frei genau mit seinen Aussagen? Und wie kommt es, dass ein ehemaliger PSG-Stürmer, der schon neben Ibrahimovic und Mbappé stürmte, kurz nach seinem 25. Geburtstag in die Super League wechselt? Wir gehen der Sache auf den Grund.
Der ungeschliffene Rohdiamant
Es ist der 8. April 2015. Paris St. Germain spielt im Halbfinal des französischen Cups gegen Saint-Étienne. In der 87. Minute nimmt PSG-Trainer Laurent Blanc seinen dritten und letzten Wechsel vor: Der erst 17-jährige Jean-Kévin Augustin ersetzt Javier Pastore, es ist das Profidebüt für den jungen Angreifer. Nur drei Minuten später spielt Augustin den Ball zu Zlatan Ibrahimovic, der diesen zum 4:1 in die Maschen zimmert. Ein Assist für Augustin – was für ein Traum-Einstand.
Die Karriere ist lanciert. Der Angreifer, der seit 2009 in der Jugendabteilung von PSG spielt, kommt fortan immer wieder zu Einsätzen neben den grossen Stars. In Frankreich sind sich viele sicher, dass der junge Stürmer eines Tages eine Riesennummer wird. Zumal Augustin auch in den Nachwuchsteams der französischen Nationalmannschaft zu überzeugen weiss. Bei der U19-EM 2016 schiesst er die Franzosen mit sechs Toren zum Titel und wird Torschützenkönig – er trifft auch einmal mehr als Sturmpartner Kylian Mbappé.
Augustin entwickelt sich gut, doch im Sommer 2017 startet PSG die grosse Transferoffensive. Neymar wird für 222 Millionen Euro aus Barcelona geholt, der aufstrebende Shootingstar Mbappé findet ebenfalls den Weg zum Pariser Starensemble. Edinson Cavani, Lucas Moura, Angel Di Maria, Christopher Nkunku und Julian Draxler sind auch schon da, für Augustin hat es in der Offensive kaum mehr Platz.
Disziplinlosigkeit und Karriere-Knick
So wagt der Pariser Junge im Juli 2017 nach 31 Einsätzen für PSG (2 Tore, 3 Assists) den Schritt ins Ausland. RB Leipzig zahlt 16 Millionen Euro für den inzwischen 20-Jährigen – und Augustin findet sich schnell zurecht. Rasch erobert er sich einen Stammplatz und kommt in seiner ersten Saison in Deutschland auf 12 Tore und 4 Assists in 36 Pflichtspielen.
Augustins Marktwert steigt auf 25 Millionen Euro, er scheint nicht mehr weit weg von seinem ersten A-Nati-Aufgebot für den frisch gebackenen Weltmeister. Auch der Start in die neue Saison ist phänomenal. Der Torjäger markiert in den seinen ersten 9 Einsätzen der Saison 2018/19 5 Treffer und liefert 2 Vorlagen.
Doch dann kommt's zum Eklat. Nachdem er sich schon in Vergangenheit mit U21-Nationaltrainer Sylvain Ripoll verkracht hatte, sagt Augustin seine Teilnahme an zwei Länderspielen der U21 Frankreichs einfach ab. Stattdessen spielt der Stürmer bei einem unbedeutenden Testspiel für Leipzig, was auch beweist, dass Augustin nicht verletzt ist. Der französische Fussballverband will das so nicht akzeptieren und legt bei der FIFA Beschwerde ein. Aus Angst vor einem möglichen Punktabzug streicht Leipzig den Angreifer für die nächste Partie aus dem Kader.
Auch im darauffolgenden Ligaspiel fehlt Augustin im Leipzig-Aufgebot. Der Grund ist diesmal aber ein anderer: Augustin und Teamkollege Nordi Mukiele haben «die internen Regeln mehrfach missachtet», wie Trainer Ralf Rangnick klarstellt. Die beiden Spieler sollen die Vorbereitung auf ein Spiel nicht ernst genommen haben und sich Dinge erlaubt haben, die dazu führten, dass eine Suspendierung «unumgänglich» wurde, so Rangnick. «Die Dinge, die da jetzt passiert sind, da brauchst du einen 24-Stunden-Rundumbetreuer.»
Zwar dauert die Suspendierung nicht lange an, doch irgendwas scheint sie in Augustin auszulösen. Auf einmal stimmen die Leistungen nicht mehr. Er verliert seinen Stammplatz und schafft es gegen Ende der Saison mehrmals nicht einmal mehr ins Aufgebot. In der Rückrunde gelingt Augustin weder ein Tor noch ein Assist.
Long-Covid und Guillain-Barré-Syndrom
Seine Tage in Leipzig sind nach zwei Jahren gezählt, Augustin will sich neu orientieren. So folgt 2019 der Leihwechsel zur AS Monaco, doch auch da kommt er nicht mehr in die Gänge. Leeds United will ihm im Winter eine Chance geben, doch beim damaligen Championship-Klub kommt der Offensivmann in der Rückrunde nur zu drei Kurzeinsätzen. Die magere Saisonbilanz: 16 Spiele, 1 Tor, 1 Assist.
Während zwischen Leeds und Leipzig ein Rechtsstreit über den Augustin-Transfer entfacht – die Deutschen fordern eine Ablösesumme in Höhe von 21 Millionen Euro, welche die Engländer nicht bezahlen wollen – zieht es den Stürmer im Sommer 2020 abermals weiter. Nun versucht er sein Glück beim FC Nantes. Doch auch da läuft es Augustin überhaupt nicht – insbesondere aus gesundheitlichen Gründen.
Ab November 2020 wird Augustin nach drei Kurzeinsätzen komplett aus dem Spielbetrieb genommen, weil der Torjäger einfach nicht fit wird. «Alles war sehr schwierig für ihn. Das Laufen, das Spiel mit dem Ball, die Orientierung – er hatte motorische Probleme», erinnert sich ein Nantes-Betreuer lange Zeit später. Nach einer Reihe von Tests wurde dem Stürmer Long-Covid und das Guillain-Barré-Syndrom, das Muskelschwäche verursacht, diagnostiziert.
Ein ganzes Jahr lang bestreitet Augustin kein Spiel mehr, erst im November 2021 steht er wieder auf dem Platz – für Nantes' zweite Mannschaft in Frankreichs vierthöchster Liga. Die Zeit hilft dem Stürmer aber, sich menschlich zu entwickeln. In der Reservemannschaft kümmert er sich wie ein grosser Bruder um die jungen Spieler und holt den einen oder anderen sogar mit dem Auto ab, damit sie nach der Schule nicht zu spät ins Training kommen.
Und Augustin tut alles dafür, um endlich wieder fit zu werden. Mit Personaltrainer und eigenem Koch tastet er sich wieder an die erste Mannschaft heran und gibt im Januar dieses Jahres schliesslich sein langersehntes Comeback bei den Profis. Zu mehr als ein paar Einwechselungen soll es bis zum Saisonende zwar nicht reichen, sein letzter Torerfolg liegt schon fast drei Jahre zurück. Aber die grösste Hürde in Augustins Karriere scheint überwunden. Und den FC Nantes verlässt er mit einem Erfolgserlebnis: Die Westfranzosen gewinnen sensationell den Cup.
Neuanfang in Basel
Jetzt will Jean-Kévin Augustin in Basel einen nächsten Anlauf nehmen. Die Gesundheit soll ihm da keinen Strich mehr durch die Rechnung machen. «Augustin wurde aufgrund seiner vorangegangenen Erkrankung breiter von uns getestet, als das üblich ist», zitiert die «Basler Zeitung» FCB-Boss David Degen. «Er weist überall jene Werte auf, die für einen männlichen Fussball-Profi üblich sind.»
In der Super League will der ehemalige PSG-Spieler zu alter Stärke zurückfinden – und womöglich einen zweiten Karriere-Frühling erleben. Zu spät für den grossen Durchbruch ist es noch nicht. Augustin hat erst letzten Donnerstag seinen 25. Geburtstag gefeiert.
«Unsere Aufgabe ist es, ihn wieder auf das Niveau zu bringen, auf dem er einmal war. Wenn er richtig mitmacht, wird der FCB einen richtig tollen Spieler kriegen», sagt Alex Frei. Basel kann einen Knipser sehr gut gebrauchen. Nach dem Abgang von Arthur Cabral konnten sich weder Fedor Chalov noch Adam Szalai bislang richtig in den Vordergrund spielen.
Hat der FCB in Augustin nun seinen neuen Cabral gefunden? Das werden die nächsten Monate zeigen. An seinen Fähigkeiten zweifelt aber niemand. Selbst Zlatan Ibrahimovic nicht. «Er meinte, dass ich zu einem grossen Spieler werden kann, wenn ich nicht nachlasse und unnachgiebig bei der Arbeit bin», sagte Augustin einst. Nach all dem, was der Torjäger in den letzten Jahren erlebt hat, scheint er endlich bereit, wieder voll anzugreifen.