Petkovics Seelenstriptease Andrea Petkovic über das Leben als Tennis-Profi: «Es ist nicht so einfach, an Sex ranzukommen»

jar

18.4.2018

Andrea Petkovic schaut nach einem anstrengenden Tag gerne einen Film.
Andrea Petkovic schaut nach einem anstrengenden Tag gerne einen Film.
Getty Images

Die deutsche Tennis-Spielerin Andrea Petkovic (WTA 103) spricht in einer emotionalen und intimen Kolumne über Realitätsflucht, Selbsthass und ihr Intimleben.

Verlieren. Jeder, der Sport treibt, hasst es. Für Tennis-Spieler gehört es oft zum Alltag, denn in kaum einer anderen Sportart gibt es mehr Verlierer. Die deutsche Tennis-Spielerin Andrea Petkovic gewährt in ihrer Kolumne im «Süddeutsche Zeitung Magazin» einen Einblick in ihr See­len­le­ben und gibt zu verstehen: Tennis-Profi zu sein ist nicht nur ein Traumberuf, sondern auch eine grosse Herausforderung für die Psyche.

«Unsere Saison beginnt jedes Jahr am ersten Januar in Australien und endet Mitte November in Singapur. Eine knapp elf Monate dauernde Odyssee, während der wir von Land zu Land reisen, jeden Morgen in fremden Hotelbetten aufwachen und spätestens im Mai vergessen haben, wie die eigene Mutter aussieht», schreibt die 30-Jährige.

Fast jedes Turnier ende mit einer Niederlage, so Petkovic, die seit 2007 Tennisprofi ist und sechs Turniertitel gewonnen hat. «Angelique Kerber ist seit 2003 professionell auf der Tour dabei und hat elf Turniere gewonnen. Man muss kein grosser Mathematiker sein, um auszurechnen, dass 90 Prozent der Wochen eines Tennisspielers oder einer Tennisspielerin ohne Sieg zu Ende gehen.» Für Roger Federer würden andere Gesetze gelten, meint die Weltnummer 103, «aber irgendwie scheint er aus einer anderen Welt zu kommen, deswegen zählt er nicht.»

«Auf mich wartet nur das leere Hotelzimmer»

Während die meisten Menschen nach einem schlechten Tag nach Hause kommen und sich mit Familie, Partner oder Freunden treffen würden, um den Stress zu vergessen, müsse sich der Tennis-Profi vor Mikrofone und Kameras stellen und erklären, warum der Tag schlecht war. «Auf mich warten dann zu Hause weder Familie noch Freunde noch Partner. Sondern das leere Hotelzimmer.» Sie wolle sich nicht über ihren Job beschweren, «aber ich möchte erklären, warum ich während dieser 40 Wochen auf der Tour eine besondere Art von Realitätsflucht für mich entdeckt habe».

Wie beschäftigt sich ein Tennis-Profi während eines Turniers, wenn er gerade nicht auf dem Platz steht? «Drogen und Alkohol fallen weg», schreibt Petkovic. «Sex fällt streng genommen nicht weg, aber entweder bin ich zu unfähig oder zu widerwillig, denn ich finde es gar nicht so einfach, an Sex ranzukommen.» So bleibe ihr am Ende nur noch Literatur, Musik und Film. Lesen sei aber zu antrengend und auch mit der Musik könne sie nicht viel anfangen, «weil sie meinen Gedanken zu viel Platz lässt für Selbstzweifel und Selbsthass».

Selbsthass? Petkovic erklärt: «Stellen Sie sich vor, Sie sollen einen Test schreiben, der darüber entscheidet, ob Sie Ihre Rechnungen bezahlen können. Sie sind super vorbereitet, haben wochenlang gelernt, Nachhilfe genommen und Akupunktur und Hypnose versucht. Dann kommen Sie in den Prüfungssaal und die Sonne scheint Ihnen direkt ins Auge, sodass Sie nichts sehen können; der Wind bläst Ihnen ständig die Zettel mit den Testfragen unter den Händen weg, und Ihr nervigster Mitschüler schlägt Ihnen jedes Mal auf die Finger, wenn Sie gerade dabei sind, eine Antwort niederzuschreiben. (...) Und in dem Moment, in dem endlich alles vorbei ist, bekommen Sie einen fetten, roten DURCHGEFALLEN-Stempel auf die Stirn gedrückt».

Filme werden Freunde

Sie sei nach einer Niederlage traurig, wütend und enttäuscht und tief im Inneren wisse sie, dass sie allein die Schuld trage und alles hätte verhindern können. «Vor diesen selbstzerfressenden Gedanken muss ich mich irgendwie schützen.» Sie mache das mit Filmen, so die frühere Top-10-Spielerin.

«Diese Dramen, die nichts mit meinem Leben zu tun haben! Diese Emotionen, die nichts mit meinem Leben zu tun haben! Und die mich deshalb so schnell davon ablenken können, mich mit mir selbst und meinen Unzulänglichkeiten auseinanderzusetzen.» Filme seien für sie die Rettung, meint Petkovic. «Sie sind meine Familie und meine Freunde in der Ferne.»

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