Während Leandro Riedi in diesem Jahr durchstartet, droht Dominic Stricker der Rückfall im Ranking. Die beiden grössten Schweizer Tennishoffnungen stehen vor wegweisenden Wochen und Monaten.
Seit ihrem Juniorenfinal am French Open, den Dominic Stricker im Oktober 2020 gegen Leandro Riedi für sich entschied, gelten der Berner und der Zürcher, beide mit Jahrgang 2002, als Schweizer Tennis-Zwillinge. Dazu passt, dass sie sich persönlich sehr gut verstehen. Dennoch entwickelte sich der Weg der beiden sehr unterschiedlich. Das zeigen die letzten eineinhalb Jahre exemplarisch.
Lange war es der hochtalentierte Linkshänder Stricker, der vorne weg zog, mit dem Sieg gegen Stefanos Tsitsipas und dem Achtelfinal als Qualifikant am US Open im letzten Jahr als (vorläufigem) Höhepunkt. Der Lohn war der Sprung in die Top 100 und die erstmalige direkte Qualifikation für ein Grand-Slam-Turnier im Januar in Australien. Dazu kam es aber nicht, der Rücken macht Probleme.
Noch keine Partie in diesem Jahr
Stricker hat in diesem Jahr noch keine Partie bestritten und wird auch in der kommenden Woche beim Challenger-Turnier in Lugano fehlen. Bei dem Event also, wo er sich im März 2021 mit dem Turniersieg erstmals bei den Profis ins Rampenlicht spielte. Es folgten die ersten ATP-Viertelfinals in Genf und Stuttgart mit Aufsehen erregenden Siegen gegen Marin Cilic oder Hubert Hurkacz und innerhalb eines Jahres der Sprung von ausserhalb der ersten 1000 in die Top 200. Bei Stricker ging es ziemlich kontinuierlich aufwärts, auch wenn er ab und zu von kleineren Verletzungen etwas ausgebremst wurde.
Nun aber braucht er Geduld. Aktuell ist vor allem Konditions-, Koordinations- und Krafttraining angesagt, wie Strickers Vater und Manager Stephan gegenüber Keystone-SDA ausführt. Er arbeitet in Winterthur an seinem Comeback, kann aber noch nicht voll belasten. Eine Teilnahme in Lugano stand deshalb ausser Frage, aktuell hofft man auf eine Rückkehr in der zweiten Märzhälfte im kroatischen Zadar. «Es ist so hart, so brutal», sagt Stephan Stricker. «Aber wir müssen langfristig denken.»
Investition in die Zukunft
Man will nicht mit einem vorschnellen Wiedereinstieg einen Rückfall riskieren. Wie bei Roger Federer zu Beginn seiner Karriere, soll der Rücken nun nachhaltig gestärkt werden. Es ist vielleicht auch eine Lehre aus dem letzten Herbst. Seinen letzten Einsatz hatte Dominic Stricker bei den Next Gen Finals der ATP in Saudi-Arabien, dem Finalturnier der besten Spieler des Jahres bis 21 Jahre.
Obwohl schon zuvor etwas angeschlagen, entschied sich der Berner Linkshänder zur Teilnahme und erreichte etwas überraschend die Halbfinals, wo er aufgeben musste. Der Lohn waren 182'000 Dollar Antrittsgage und Preisgeld, die in die noch bessere Betreuung durch einen Physiotherapeuten investiert werden sollen. Vielleicht war der Preis aber zu hoch.
Nun will man auf jeden Fall sicher gehen, dass Stricker komplett gesund ist, bevor er wieder zum Schläger greift – auch wenn im Ranking ein weiterer Rückfall droht. Diese Woche fiel er auf Position 112 zurück, vom letztjährigen Halbfinal in Lugano verliert er weitere 30 Punkte. Damit ist die direkte Qualifikation für das French Open ernsthaft in Gefahr. Das soll aber im Moment nicht im Vordergrund stehen.
Nach Seuchenjahr im Hoch
Genau umgekehrt verlief der Weg von Leandro Riedi. Er tat sich nach dem verlorenen Final in Paris schwer, bei den Profis Fuss zu fassen. Und als er es auch dank einem Final in Lugano im Januar 2023 bis auf Platz 135 der Weltrangliste schaffte, riss der Faden wieder – buchstäblich. Es folgte ein eigentliches Seuchenjahr. Ein Bänderriss und dann eine Fraktur im linken Fuss legten den 22-jährigen Zürcher für mehrere Monate flach, dann zwickte es im Herbst ebenfalls im Rücken.
Im September forderte Riedi im Davis Cup Altstar Andy Murray mehr als drei Stunden, danach ging nichts mehr. Bis Ende Jahr gab es bei sieben Turnieren nur noch einen Sieg. Ein Reset war erforderlich, und der gelang formidabel. In diesem Jahr ist Riedi so richtig durchgestartet.
French Open im Fokus
Challenger-Turniersiege in Portugal und Belgien, am Sonntag ein verlorener Final in Pau. Riedi hat in diesem Jahr 17 von 20 Spielen gewonnen, die vorherigen Niederlagen sind eine Partie, die er aufgeben musste und im Davis Cup ein 6:7, 6:7 gegen den niederländischen Top-30-Spieler Tallon Griekspoor. Macht er so weiter – zum Beispiel diese Woche in Lille und dann in Lugano – darf sich Riedi sogar Hoffnungen auf das Hauptfeld am French Open machen. Er belegt neu Platz 160 und hat bis Mitte April, wenn für Paris abgerechnet wird, nur 29 Punkte zu verteidigen.
In der aktuellen Form ist das für den vom nur ein Jahr älteren Yannik Steinegger trainierten Zürcher keine Illusion – wenn der Rücken mitspielt. Das gilt für beide Schweizer Tennis-Zwillinge.