In einer hochstehenden Partie ringt Dominic Thiem Novak Djokovic an den ATP Finals in London in drei hart umkämpften Sätzen nieder und spricht danach vom besten Spiel seines Lebens. Sein Kontrahent zieht den Hut.
Dominic Thiem und Novak Djokovic zeigen in ihrem zweiten Gruppenspiel an den ATP Finals am Dienstagabend Tennis auf allerhöchstem Niveau und reissen die Zuschauer in der O2-Arena mehrfach von ihren Sitzen. Nach fast drei Stunden verwandelt der Österreicher seinen zweiten Matchball und gewinnt die Partie im Tiebreak des dritten Satzes mit 6:7, 6:3, 7:6. Erstmals überhaupt schafft Thiem beim Saisonfinale damit den Sprung in den Halbfinal. «Es war ein episches Spiel, das es von Zeit zu Zeit an grossen Turnieren gibt. Es hatte alles, was es brauchte. Ich denke, diese Partie hat es verdient, im Tiebreak des dritten Satzes entschieden zu werden«, sagt der strahlende Sieger nach dem Spiel.
Letztlich habe er auch die nötige Portion Glück gebraucht: «Wenn zwei Top-Ten-Spieler beinahe drei Stunden spielen, macht am Ende das Glück den Unterschied. Und das war heute etwas mehr auf meiner Seite», bleibt der 26-Jährige bescheiden. «Aber ich bin sehr glücklich und stolz, weil es wahrscheinlich das beste Spiel war, das ich je gespielt habe.»
Djokovic zieht den Hut
Tatsächlich zeigt Thiem eine beeindruckende Leistung und setzt seinen Kontrahenten permanent unter enormen Druck – egal ob mit der Vorhand oder der einhändigen Rückhand. Verlierer Djokovic ist beeindruckt: «Ich glaube, ich habe nicht viele Spiele erlebt, in denen mein Gegner mit jedem Schlag den Punkt sucht. Er war unglaublich. Manchmal schlug er den Ball so hart wie er konnte.» Thiem habe den Sieg mit seinem mutigen Auftritt verdient: «Er spielte sehr mutiges Tennis und hat buchstäblich jeden Ball angegriffen. Und das hat er das ganze Spiel durchgezogen. Ich ziehe meinen Hut und gratuliere ihm für ein grossartiges Spiel», zeigt sich Djokovic als fairer Verlierer. Vorwerfen kann er sich selbst nicht viel: «Ich bin stolz, dass ich im letzten Satz nach dem 5:6 nochmals zurückkehren konnte, als er zum Match servierte. Ich hätte zu diesem Zeitpunkt des Spiels aggressiver spielen müssen.»
Im zehnten Duell mit dem Serben schafft es Thiem, den 16-fachen Grand-Slam-Sieger immer wieder zu überraschen. «Ich spielte in der Vergangenheit schon ein paar Mal gegen ihn, kenne also sein Spiel«, erklärt Djokovic. «Aber was er heute Abend tat, war einfach ungewöhnlich. Ich wusste, dass er auf hohem Niveau spielen kann, aber heute Abend war sein Level phänomenal. (…) Wenn er jeden Match so spielen kann, dann Chapeau!»
Thiem findet die richtige Balance
Thiem erklärt an der Pressekonferenz, dass er genau nach diesem Überraschungsmoment suchte: «Djokovic ist aktuell wahrscheinlich der beste Spieler der Welt. Also musste ich etwas Ungewöhnliches tun – das habe ich gemacht und wirklich sehr hart geschlagen. Letztlich habe ich 51 Winner gegen ihn gemacht – eine schöne Zahl! (Lacht).» Allerdings habe er nicht nur blind draufgehauen, sondern taktisch die richtige Mischung gefunden: «Ich habe nicht jeden Ball so hart wie möglich getroffen, weil das zu riskant gewesen wäre. Aber ich habe heute die richtige Balance gefunden. Ich spielte manchmal auch Slice und ging ans Netz.»
Nach zwei Gruppenpielen steht die Weltnummer fünf damit überraschend mit weisser Weste da. «Zum ersten Mal gelang es mir, zwei Mitglieder der ‹Top Three› in Folge zu schlagen. Das gibt mir viel Selbstvertrauen. Ich bin auch stolz, dass ich zum ersten Mal im Halbfinal bin. Das war das Hauptziel», sagt Thiem. Jetzt aber will er mehr: «Es wäre der grösste Titel meiner Karriere. Ich denke, das Niveau an diesem Turnier ist fast so hoch wie an einem Grand Slam. Es ist so schwer, es zu gewinnen. Du musst die besten acht Spieler der Saison schlagen – so gesehen ist es vielleicht sogar das schwierigste Turnier des Jahres.»
Brisante Ausgangslage vor dem Kracher
Für Novak Djokovic dagegen geht es im abschliessenden Gruppenspiel gegen Roger Federer am Donnerstag um alles oder nichts: Wer den Kracher für sich entscheidet, steht im Halbfinal – wer verliert, scheidet aus. «Trotz der Niederlage bin ich noch im Turnier», sieht es der 32-Jährige positiv und gibt sich vor dem 49. Duell mit Federer gelassen: «Der Sieger zieht ins Halbfinale ein, der Verlierer fliegt raus. So einfach ist das.»