Karriererückblick Ein Kämpfer kapituliert: Das bittere Ende von Andy Murray

Luca Betschart

11.1.2019

Andy Murray kann nicht mehr: Spätestens in Wimbledon tritt der Schotte zurück.
Andy Murray kann nicht mehr: Spätestens in Wimbledon tritt der Schotte zurück.
Bild: Keystone

Andy Murray wird seine Karriere wohl noch in diesem Jahr beenden. Nach einem kampfbetonten Weg an die Weltspitze muss der Schotte jetzt endgültig kapitulieren.

Es ist das Ende der Ära der «Big Four»: Andy Murray kann nicht mehr und kündigt spätestens für Wimbledon seinen Rücktritt aus dem Tennissport an. Der erste britische Grand-Slam-Sieger seit Fred Perry im Jahr 1936 kann sich auf dem Court seit geraumer Zeit nicht mehr schmerzfrei bewegen und will seinem Körper diese Qualen nicht mehr zumuten. Einer der grössten Kämpfer auf der Tour muss kapitulieren – und die Tenniswelt leidet mit. Wir blicken auf die bewegte Karriere des 31-Jährigen zurück.

Rasanter Aufstieg als Teenie

Als Junior gewinnt Andy Murray 2004 den Titel am US Open und klettert dadurch auf Platz 1 der Weltrangliste. In der darauffolgenden Saison wird er im Alter von 18 Jahren Profi und gibt im selben Jahr sein Debüt im Davis Cup. Bereits 2006 spielt er sich in Wimbledon bis in den Achtelfinal und bezwingt auf dem Weg dorthin den zweimaligen Finalisten Andy Roddick. Einige Monat später lenkt Murray die Aufmerksamkeit erneut auf sich, als er den Weltranglistenersten Roger Federer in zwei Sätzen bodigt. Spätestens von diesem Moment an sind viele Augen auf den jungen Briten gerichtet, der in seiner Heimat als grosse Zukunftshoffnung gehandelt wird.

Murray legt in der Weltrangliste einen rasanten Aufstieg hin, ist zum Ende der Saison 2008 mit 21 Jahren bereits auf Platz 4 der Weltrangliste zu finden und hat eindrückliche acht Titel auf ATP-Stufe auf seinem Konto. Doch der bis anhin steile Aufstieg gerät anschliessend arg ins Stocken.

Das lange Warten auf den Durchbruch

In Federer, Nadal und Djokovic findet Murray nämlich gleich drei (über)mächtige Rivalen, die dem Schotten an grossen Turnieren lange (und beinahe immer) vor der Sonne stehen. Ab den US Open 2008 steht er in zehn der folgenden 16 Grand-Slam-Turniere mindestens im Halbfinal, vier Mal geht die Reise gar bis ins Endspiel. Einen Titel gewinnt Murray nicht und in neun der angesprochenen zehn Halbfinalqualifikationen endet das Turnier anschliessend mit einer Niederlage gegen einen der grossen Drei: Federer, Nadal oder Djokovic.

Schon bald erlangt Murray in grossen Spielen den Ruf des ewigen Verlierers und auch er selbst scheint den Glauben an den Durchbruch manchmal verloren zu haben. Nach seiner dritten Niederlage im dritten Endspiel eines Grand-Slams im Jahr 2010 in Australien gegen Federer kann er die Tränen der Enttäuschung nicht mehr zurückhalten: «Ich kann zwar weinen wie Roger, nur schade kann ich nicht so gut spielen wie er.»

Etwas mehr als zwei Jahre später nimmt Murray den nächsten Anlauf an seinem Heimturnier in Wimbledon. Gegen Rasenkönig Federer wird er in diesem Jahr gar als Favorit gehandelt, gewinnt aber ausser dem ersten Satz keinen Blumentopf. Nachdem der Schotte kurz darauf im Olympia-Final auf dem gleichen Court erfolgreich Revanche nimmt, bricht er den Bann im September 2012 in New York – endlich!

In einem epischen Duell mit Angstgegner Novak Djokovic ringt er den Serben in fünf Sätzen nieder und sichert sich im fünften Final den ersten Grand-Slam-Titel. Ein halbes Jahr später erfüllt er sich den Traum vom Wimbledon-Triumph nach einem klaren Dreisatzsieg im Final – erneut gegen Djokovic.

Das (fast) perfekte Jahr 2016

Der endgültige Durchbruch gelingt Murray 2016, obwohl es an den ersten beiden Grand-Slam-Turnieren in Melbourne und Paris zwei weitere Finalniederlagen absetzt. Doch Murray gewinnt in diesem Sommer sowohl Wimbledon als auch Olympia-Gold zum zweiten Mal. Dank konstanten Leistungen auf höchstem Niveau – er stand bei drei der vier Grand-Slam-Turniere im Final – löst er ausserdem Novak Djokovic als Weltnummer 1 ab und gewinnt zum Saisonabschluss seinen einzigen Titel bei den ATP-Finals. Der Höhepunkt ist erreicht – auch wenn das in diesem Moment wohl nicht nur für Murray selbst schwer vorstellbar ist.

Den Höhepunkt erreicht? Andy Murray gewinnt mit den ATP-Finals 2016 seinen bislang letzten grossen Titel.
Den Höhepunkt erreicht? Andy Murray gewinnt mit den ATP-Finals 2016 seinen bislang letzten grossen Titel.
Bild: Keystone

Als Weltnummer 1 startet Murray ins Jahr 2017, das für ihn enttäuschend verlaufen wird. Nachdem er in der Rasensaison seine Titel aus dem Vorjahr in Queens und Wimbledon nicht verteidigen kann, kommen auch noch verletzungsbedingte Probleme dazu. Weil Murray die gesamte Hartplatzsaison wegen Hüftproblemen auslassen muss, ist er die Nummer 1 nach 41 Wochen wieder los und zurück in der Rolle des Jägers. Begann er das Jahr noch als Weltbester, findet man den Schotten zum Ende der Saison auf Position 16 der Weltrangliste. Ein steiler Absturz!

Zwei Seuchenjahre zuletzt

Trotz dem vorzeitig einberufenen Saisonende hat Andy Murray auch zu Beginn der letzten Saison mit schwerwiegenden Hüftproblemen zu kämpfen, muss für die Australian Open ebenfalls passen und teilt im Januar mit, dass er sich in Melbourne einer Operation unterziehen musste. Er kündigt sein Comeback neu auf den Beginn der Rasensaison an. In dieser bestreitet er dann zwei Turniere mit mässigem Erfolg, worauf er auch für Wimbledon Forfait erklärt. Die Folge ist der tiefe Fall in der Weltrangliste, wo er zu dieser Zeit erst auf Rang 839 wieder zu finden ist.

Seither kommt Murray nicht mehr auf Touren, spielt nur wenige Turniere und scheidet jeweils früh aus. Auch die Saison 2018 spielt der 31-Jährie nicht zu Ende und pausiert seit Anfangs Oktober, um sich optimal auf die neue Spielzeit vorzubereiten. Doch offensichtlich ist der Körper oder vielmehr die Hüfte den ausgesetzten Belastungen nicht mehr gewachsen – und auch mental hat der Sturz vom Tennisthron mit Sicherheit seine Spuren hinterlassen. So niedergeschlagen wie an der Pressekonferenz in Melbourne (s. Video unten) hat man den Kämpfer wohl noch gar nie gesehen. Das Steh-auf-Männchen hat kapituliert – endgültig. 

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