Dramen, Titel, Tränen Federer in Wimbledon: Vom «ersten Mal» zur «Mutter aller Niederlagen»

Von René Weder

2.7.2020

21 Teilnahmen, acht Siege, vier bittere Finalniederlagen: Roger Federer hat in Wimbledon alles erlebt, was man sich ausdenken kann. «Bluewin» blickt zurück auf eine Serie, die 2020 keine Fortsetzung findet. 

Wimbledon, da war doch was: Dieser Tage hätte das traditionsreichste Tennisturnier der Welt an der Church Road über die Bühne gehen sollen. Erstmals seit 1999 ohne Roger Federer, der trotz coronabedingter Absage infolge einer Knieverletzung ohnehin nicht hätte spielen können. Zuvor hatte der Baselbieter in seinem «Wohnzimmer» im Südwesten Londons seit 1999 ununterbrochen teilgenommen. «Bluewin» nutzt die Gunst der Stunde, um Erinnerungen aufzufrischen.

1999: Das erste Mal

1998 gewinnt Federer bei den Junioren und darf somit im Folgejahr mit einer Wildcard ausgestattet erstmals bei den Männern antreten. Es ist der Startschuss zu einer ganz besonderen und bis heute anhaltenden Beziehung. Federer zieht gegen Jiri Novak in fünf Sätzen zwar den Kürzeren, holt aber mehr Punkte als der Tscheche. Novak kommentiert seinen Erfolg, als hätte er gerade ein Rendezvous mit der Zukunft gehabt: «Jesus, dieser Junge hat was drauf.» Auf den ersten Sieg in Wimbledon muss Federer indessen noch etwas warten: In der ersten Runde 2001 schlägt er den Belgier Christophe Rochus in drei Sätzen.


2001: Der Coup gegen Sampras

Im Jahr 2000 scheitert Federer ebenfalls in der Startrunde. Diesmal in drei Sätzen am Russen Jewgeni Kafelnikow (ehemalige Weltnummer 1 und damalige Weltnummer 5). Ein Jahr später trifft er im Achtelfinal auf sein grosses Idol, den Amerikaner Pete Sampras. Federer gewinnt in fünf Sätzen und hindert damit jenen Spieler, der zuvor viermal in Wimbledon triumphiert hatte, am fünften Triumph in Folge. Die Schweizer Presse feiert den Coup standesgemäss: «Vom Supertalent zum bestandenen Profi», «technisch fast perfekt» und von «Konstanz auf höchster Ebene» wird geschrieben. Federer ist sich nach der Niederlage im Viertelfinal gegen Lokalmatador Tim Henman aber sicher: Seine beste Zeit steht erst bevor. Er sagt: «Ich muss in diesen Turnieren in Zukunft noch weiter kommen.»


2003 – 2007: Die Dominanz

Zwischen 2003 und 2007 heisst der Sieger im All England Lawn Tennis and Croquet Club immer Roger Federer. Mit dem fünften Titel in Folge stellt er 2007 den Rekord von Björn Borg ein. In 34 siegreichen Partien (ein Spiel ging Forfait an Federer) gibt er lediglich neun Sätze ab. In den Jahren 2003, 2005 und 2006 bleibt er dabei praktisch makellos und verliert jeweils pro Turnier nur einen Satz. Unvergessen bleibt Federers erster Major-Triumph: Der damals 21-Jährige sinkt nach dem Matchball auf den heiligen Rasen, kann die Tränen nicht mehr zurückhalten. Auch das Siegerinterview ist legendär. Zurück in der Schweiz erhält Federer am Rande der Swiss Indoors in Gstaad eine Kuh geschenkt. Die Bilder des Baselbieters mit «seiner» Juliette gehen um die Welt. 

Federer und «seine» Juliette.
Federer und «seine» Juliette.
Bild: Keystone
2008: Das Drama

Es ist eines der packendsten Tennisspiele aller Zeiten, vielleicht sogar das dramatischste. Auf höchstem Niveau peitschen Nadal und Federer die Bälle während fast fünf Stunden übers Netz. Wegen Regens muss das Spiel mehrmals unterbrochen werden. Bei Einbruch der Dunkelheit schliesslich verwertet Rafael Nadal den Matchball zum 9:7 im fünften Satz und löst Roger Federer als König von Wimbledon ab. Über das Tennis-Drama wird später ein Buch geschrieben. Die Schweiz weint mit ihrem Aushängeschild nach dem «verlorenen Match des Jahrhunderts». Die britische «Daily Mail» schreibt: «Nach fünf epischen Sätzen eines wahren Dramas gewinnt Nadal das grösste Final aller Zeiten. Rafa erreicht neue Höhen und der tapfere König stürzt, als der Eroberer seine Krone nimmt.»


2009: Die Auferstehung

Nach der schmerzhaften Niederlage gegen Nadal, der mit der Doublette Roland Garros / Wimbledon nebenbei Geschichte schreibt, steht Federer 2009 unter Druck. Viele Experten haben bereits die Wachablösung prophezeit, auch Rücktrittsforderungen werden laut. Doch es sollte das grosse Jahr der Tennis-Ikone werden. Zunächst gewinnt Federer die French Open und macht damit den Karriere-Slam perfekt. Vier Wochen später triumphiert er auch wieder in Wimbledon. 5:7, 7:6, 7:6, 3:6 und 16:14 lautet das Schlussresultat in einem hochstehenden Endspiel gegen den bemitleidenswerten Andy Roddick. Der Sieg ist gleichbedeutend mit dem 15. Major-Triumph, womit Federer an Pete Sampras (14) vorbeizieht. 


2017: Das Märchen

Zwischen 2010 und 2016 gewinnt Federer den Rasenklassiker noch einmal; 2012 im Endspiel gegen Andy Murray. 2010 und 2011 ist jeweils im Viertelfinal Schluss (gegen Berdych und Tsonga). 2013 scheitert er in der zweiten Runde sensationell an Sergei Stakhowsky. 2014 und 2015 greift Federer dann erneut nach der Krone, unterliegt im Final aber dem neuen Dominator der Szene, Novak Djokovic. 2016 heisst der Sieger im Halbfinal Milos Raonic. Federer verletzt sich, bricht die Saison ab, verzichtet auf Olympia. Von den vielen Rücktrittsforderungen, die nun immer lauter werden, lässt er sich nicht beeindrucken. Er kehrt 2017 auf die Tour zurück und gewinnt in Melbourne in einem spektakulären Endspiel gegen Rafael Nadal seinen 18. Grand-Slam-Titel.

Ein halbes Jahr später stemmt er den Wimbledon-Pokal zum vorerst letzten Mal in die Höhe. Auf seinem Weg zum achten Triumph gibt Federer keinen Satz ab und lässt auch im Endspiel dem Kroaten Marin Cilic nicht den Hauch einer Chance. Die Presse verneigt sich und überbietet sich mit Superlativen: «Das achte Weltwunder» oder: «Unbestritten der Grösste der Geschichte». Die NZZ schreibt: «Im Prinzip reicht es, die nackten Fakten zu rezitieren. Acht Wimbledon-Siege, 19 Grand-Slam-Titel, 29 Finals, dazu 302 Wochen an der Weltranglistenspitze, zu denen möglicherweise bald schon weitere dazukommen: Wer will Roger Federer noch mit anderen grossen Sportlern vergleichen? Er ist längst der, der über seinen Sport hinaus die Massstäbe setzt.»


2019: Die Mutter aller Niederlagen

«Ich habe eine unglaubliche Chance verpasst», analysiert Federer die Niederlage gegen Novak Djokovic im Endspiel vor Jahresfrist. Er sei wütend, nicht etwa traurig oder enttäuscht, führt er aus. Was sich zuvor auf dem Centre Court ereignete, hätte vom dramaturgischen Standpunkt her betrachtet auch den guten Alfred Hitchcock beeindruckt.

Fünf Sätze überdauert das spektakuläre Endspiel, bevor im letzten Umgang beim Stand von 12:12 das neu eingeführte Tiebreak die Entscheidung zugunsten Djokovics bringt. Als es 8:7 steht, vergibt Federer zwei Matchbälle. Die serbische Weltnummer 1 lässt sich vom Publikum, dass in grosser Mehrheit hinter Federer steht, nicht beeindrucken. Im Gegenteil: Djokovic sagt, er habe die vielen «Roger-Rufe» in seinem Kopf als «Novak-Rufe» empfangen. Wer sich die Final-Highlights im Video unten nicht anschauen möchte, dem sei der Zusammenschnitt des Halbfinals zwischen Federer und Nadal ans Herz gelegt. 

Die Statistiken zum Spiel, das Federer eigentlich nicht hätte verlieren dürfen.
Die Statistiken zum Spiel, das Federer eigentlich nicht hätte verlieren dürfen.
Bild: Screenshot Wimbledon.org
Bonus: Federers acht Wimbledon-Siege im Schnelldurchlauf


Bonus: Federers Viertelfinaltriumph gegen Kei Nishikori 2019 ist gleichbedeutend mit seinem 100. Einzelsieg in Wimbledon

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