Die Tennisszene wurde in den letzten knapp zwei Dekaden von drei Spielern dominiert. Dies natürlich auf Kosten einiger Berufskollegen. Jo-Wilfried Tsonga erläutert, wie sich dieses Szenario auf Körper und Geist auswirkt.
Stellen Sie sich vor, Sie gehören jahrelang zu den Besten Ihres Fachs, doch Sie verpassen stets Ihr grosses Ziel. Dies, weil das Schicksal Sie gleich mit den wohl drei besten Tennisspielern aller Zeiten zusammengeführt hat. So ergeht es auf der Tour einigen Profis, die in einer anderen Ära locker ein Grand-Slam-Turnier gewonnen hätten.
Zu diesen Pechvögeln zählt ganz sicher Jo-Wilfried Tsonga. Dem 35-Jährigen rennt die Zeit davon – er droht als «unvollendet» in die Tennisgeschichte einzugehen. Ein schmerzhafter Fleck im Reinheft eines Top-Spielers. Ein kleiner Trost für Tsonga: Auch andere Tennisspieler befanden sich (oder sind es noch aktuell) in einer ähnlichen Lage.
Der sympathische Franzose aus Le Mans (inzwischen Wahl-Waadtländer) gab in der Sendung «Deep Talk» mit Landsmann Arnaud Di Pasquale – selbst ehemaliger Spieler – zu, dass er lieber nicht gegen Roger Federer (20 Grand-Slam-Titel), Rafael Nadal (20) oder Novak Djokovic (17) angetreten wäre. «Ganz ehrlich. Ich hätte es geliebt, wenn es sie alle nicht gegeben hätte», hält Tsonga lachend fest. Sie seien schlicht «Monster».
Kein Wunder, schliesslich haben die drei insgesamt 57 Grand-Slams-Titel abgeräumt. Der Konkurrenz blieb das Nachsehen. «Du bist die Nummer 5 in der Welt (seine beste Platzierung – d. Red.) und denkst, dass es dir gut ginge, wenn es sie nicht gäbe. Aber ehrlicherweise ist es auch eine Quelle des Stolzes. Manche Leute kommen auf mich zu und fragen mich, ob ich gegen Federer gespielt habe. Ich sage ihnen dann: ‹Ja, ja, es war hart und ich habe sogar ein paar Mal gewonnen.› Das ist dann der Stolz. Dasselbe mit Rafa, Novak oder Murray.»
Tsonga hat es in seiner beeindruckenden Karriere achtmal in einen Major-Viertelfinal geschafft, fünfmal unter die besten Vier und einmal (Australian Open 2008) sogar in den Final. Auch bei den ATP Finals (2011) erreichte er das Endspiel. Zusätzlich gewann er mit Toronto und Paris zwei grosse 1000er-Masters-Turniere.
In Kanada gelang ihm 2014 etwa das Husarenstück, mit Novak Djokovic, Andy Murray, Grigor Dimitrov und zuletzt Roger Federer gleich mehrere Hochkaräter auszuschalten. Ein mentaler Kraftakt: «Manchmal wird man entmutigt. Du siehst einen von ihnen im Achtelfinal, einen im Viertelfinal, einen im Halbfinal und einen im Final. Dann denkst du, wenn ich da lebend rauskomme, ist es ein Wunder. Ich habe es in Toronto geschafft – und es ging dabei nur über zwei Gewinnsätze.»
«Blut im Urin»
Auch körperlich sei es unglaublich zehrend, wie der Allrounder verrät. «Ich habe nach dem Final gegen Federer Blut im Urin gehabt. Ich habe den Arzt angerufen, um zu fragen, ob das normal ist. Bei Ermüdung werden offenbar Muskelfasern abgebaut, die im Urin gefunden werden.» Sein Fazit: «Das alles, um danach sagen zu können, dass man stolz ist, gegen diese Jungs gespielt zu haben.»
Der überall gerngesehene Publikumsliebling ist nur noch auf Rang 60 der Weltrangliste zu finden. Im letzten Jahr bestritt er lediglich zwei Partien, die letzte davon bei den Australian Open, wo er in der 1. Runde wegen Rückenproblemen aufgeben musste. Melbourne wird er heuer auslassen und plant dafür, Ende Februar beim Start der europäischen Hallenturniere zurückzukommen. Von einem Rücktritt will er noch nichts wissen.