Kommentar Kommentar: Zverevs Kritik am Ranking ist angebracht – recht hat er trotzdem nicht

Von Luca Betschart

18.3.2021

Sieht sich in der Weltrangliste weiter vorne: Alexander Zverev.
Sieht sich in der Weltrangliste weiter vorne: Alexander Zverev.
Bild: Keystone

Mit Roger Federer als genanntes Beispiel kritisiert Alexander Zverev jüngst das geltende Rankingsystem für die ATP-Tour. Der Frust ist nachvollziehbar – auch wenn die Corona-Regelung für den Deutschen keinen Unterschied macht.

Von Luca Betschart

«Ich bin der grösste Fan von Roger Federer, aber er hat ein Jahr lang nicht gespielt und steht in der Weltrangliste vor mir.» Mit diesen Worten macht Alexander Zverev jüngst klar, was er vom angewandten ATP-Ranking während der Corona-Pandemie hält. Wie gewohnt spricht der Deutsche dabei Klartext: «Das System ist eine Katastrophe. Ich müsste in den Top 4 oder Top 5 sein.»

Zverev spricht die aufgrund der Corona-Pandemie eingeführte Regel an, alle Ergebnisse der letzten 24 Monate in unterschiedlicher Gewichtung in die Wertung einfliessen zu lassen – anstatt wie üblich der letzten 52 Wochen. In der Tat spielt das eher jenen Spielern in die Karten, die in der Weltrangliste bereits vor der Pandemie gut positioniert waren.

Federer als grosser Profiteur

Das zeigt sich am Beispiel Federer, der sich trotz einjähriger Absenz in den Top 6 der Welt halten kann. Zverev, der im gleichen Zeitraum einen Grand-Slam-Final sowie einen Masters-1000-Final erreicht, liegt nach wie vor mehr als 600 Zähler hinter dem Maestro. Kein Wunder, sagt Zverev, dass ihm das Ranking «aktuell wirklich egal» sei.



Der Frust ist verständlich, Zverevs Kritik erscheint sicher ein Stück weit angebracht. Ein Aufstieg in der Weltrangliste ist in der aktuellen Phase in der Tat eine Herkulesaufgabe, ein Absturz dagegen ist beinahe unmöglich. Unter dem Strich dürfte die Sonderregelung deshalb auch die anstehende Wachablösung auf der ATP-Tour bremsen. Was Zverev möglicherweise aber nicht bedenkt: Die grossen Verlierer des Corona-Rankings sind andere!

Rublev und Medvedv als Verlierer – und nicht Zverev

Andrey Rublev beispielsweise. Der Russe, der im abgelaufenen Jahr die meisten Turniere aller Spieler gewinnt, ist Stand jetzt direkt hinter Zverev auf Weltranglistenposition 8. Wie «tennis.com» ausrechnet, wäre Rublev ohne das eingefrorene Ranking aber bereits die Weltnummer 3 – vor Nadal, Federer oder auch vor einem gewissen Alexander Zverev.

Landsmann Daniil Medvedev rangiert dagegen so oder so als Weltnummer 2. Seinen Rückstand auf Dominator Djokovic hätte der Russe im Normalfall aber bereits auf rund 300 Punkte reduziert – anstatt den aktuell mehr als 2000 Punkten. Zudem würden ohne angepasstes Zählsystem Milos Raonic (aktuell ATP 19) als Neunter, sowie Pablo Carreno Busta (aktuell ATP 15) als Zehnter in die Top Ten rutschen – auf Kosten von Federer sowie Matteo Berrettini (aktuell ATP 10).

Zverev (aktuell ATP 7) dagegen, der sich offenbar benachteiligt fühlt, stünde ungefähr dort, wo er auch ohne das eingefrorene Ranking wäre: auf Rang 6 der Weltrangliste. Den Platz, den er dank Federers Absturz nämlich gut machen würde, hätte er sogleich wieder an Rublev verloren. Einzig Stefanos Tsitsipas würde der Deutsche überholen. Zverevs Kritik mag angebracht sein, ganz im Gegensatz zu seiner Forderung, in der ATP-Weltrangliste zu den Top 5 zu gehören.