Mit Roger Federer und Belinda Bencic fehlen auch am French Open zwei Schweizer Topspieler. Die Hoffnungen ruhen auf Stan Wawrinka. Doch der Paris-Sieger von 2015 steigt mit Fragezeichen ins Turnier.
Wie steht es um Stan Wawrinka? Vor dem in den Herbst verlegten French Open weiss man es nicht so genau. Es fehlen die sportlichen Referenzen, und die Informationen, die der dreifache Grand-Slam-Sieger der Öffentlichkeit preisgibt, beschränken sich auf die Einträge in seinen sozialen Netzwerken. Vor dem letzten Grand-Slam-Turnier des Jahres mag sich Wawrinka nicht öffentlich äussern. Als Setznummer 16 ist er dazu am offiziellen Medientag auch nicht verpflichtet, wenngleich er als ehemaliger Roland-Garros-Sieger durchaus eine gefragte Person wäre, es in der 1. Runde zur Neuauflage des denkwürdigen Halbfinals von 2017 gegen Andy Murray kommt und Wawrinka kurz vor dem Turnierbeginn am Sonntag die Trennung von seinem Trainer Magnus Norman bekannt gab.
In Abwesenheit von Federer und Bencic richtet sich der Schweizer Fokus fast gänzlich auf Wawrinka. Der Waadtländer führt das Schweizer Quartett in den beiden Hauptfeldern nun klar an, für Jil Teichmann, Stefanie Vögele und Qualifikant Henri Laaksonen wäre jede überstandene Runde ein Erfolg. Und für Wawrinka, den dreifachen Grand-Slam-Sieger? Sein Spektrum reicht von weit unten bis zur absoluten Weltklasse. Die Frage ist, wo sich der 35-Jährige gerade befindet, nach langer Pause, Knie-Operationen und verschiedenen anderen Blessuren im Herbst seiner Karriere und ohne grössere Matchpraxis.
Die Anhaltspunkte sind spärlich. Nach dem Corona-Unterbruch verzichtete Wawrinka auf den Abstecher in die Tennis-Blase von Flushing Meadows. Er trat stattdessen an zwei Challenger-Turnieren in Prag an sowie letzte Woche am Masters-1000 in Rom an. In Prag gewann er das erste und erklärte im zweiten wegen Schmerzen im Oberschenkel vor dem Viertelfinal Forfait. In Rom unterlag er dem stark aufspielenden italienischen Teenager Lorenzo Musetti in zwei Sätzen.
Über Murray in den Rhythmus?
Der USA-Verzicht muss kein Nachteil sein, schliesslich ist die Pause zwischen den Grand-Slam-Turnieren in New York und Paris kurz. Aber Wawrinka fehlen die Vergleiche auf höchstem Niveau, dazu wirft die zweite Trennung von Norman nach 2017 Fragen über das Binnenklima in seinem Team auf. Laut Norman trennen sich die Wege, weil Wawrinka einen Vollzeit-Trainer brauche und der Schwede diese Vorgabe als Vater einer kleinen Tochter nicht erfüllen wolle.
Ob Wawrinka in Paris seinen Rhythmus und das Selbstvertrauen findet, um sein druckvolles Spiel wieder zu entfalten, dürfte von den ersten Auftritten abhängen. Dass sich der dreifache Grand-Slam-Sieger in einen Rausch spielen kann, dem auch ein Novak Djokovic in starker Form nichts entgegenzusetzen hat, ist bekannt. Und mit dem Achtelfinal-Sieg am Australian Open gegen Daniil Medwedew hat der Romand im Frühjahr bewiesen, dass er immer noch zu besonderen Leistungen imstande ist. Allerdings liegt Wawrinkas letzter grosser Wurf an einem Grand-Slam-Turnier (Finaleinzug am French Open 2017) mehr als drei Jahre zurück.
Um Schwung aufnehmen zu können, muss Wawrinka von Beginn weg präsent sein. Schliesslich steht ihm zum Auftakt mit dem ehemaligen Weltranglisten-Ersten Andy Murray der Finalist von 2016 gegenüber. 2017 lieferten sich die beiden im Halbfinal einen Abnützungskampf über viereinhalb Stunden und fünf Sätze, den der unterlegene Murray rückblickend als «das Ende meiner Hüfte» bezeichnete und der Wawrinkas Knie arg zusetzte.
60'000 Euro für Laaksonen
Mit Henri Laaksonen schaffte es bei den Männern ein zweiter Schweizer ins Haupttableau. Der Weltranglisten-135. qualifizierte sich dank einem 7:5, 6:1 gegen den Kolumbianer Daniel Elahi Galan (ATP 152). Laaksonen kann sich damit über ein gesichertes Preisgeld von 60'000 Euro freuen, auf das Spieler seines Rankings – und während Corona sowieso – dringend angewiesen sind. Gegen den Uruguayer Pablo Cuevas (ATP 63) ist er auch nicht zum Vornherein chancenlos.
Bei den Frauen wäre Jil Teichmann nach den starken Auftritten im Vorfeld des US Open auf dem Pariser Sand etwas zuzutrauen. Die 23-Jährige träfe aber wohl bereits in der 2. Runde auf die topgesetzte Rumänin Simona Halep, sollte sie sich im Startspiel gegen Haleps Landsfrau Irina-Camelia Begu (WTA 72) durchsetzen. Auch Stefanie Vögele bekommt es mit einer Rumänin zu tun. Die Aargauerin nimmt gegen Patricia Maria Tig (WTA 58) einen weiteren Anlauf, um erstmals seit 2017 in die 2. Runde an einem Grand-Slam-Turnier einzuziehen. Dass vier Top-10-Spielerinnen in Paris fehlen, dürfte aus Schweizer Sicht irrelevant bleiben.