Stan Wawrinka beendet eine zwiespältige und komplizierte Tennissaison, in welcher er zu selten seine frühere Klasse aufblitzen lässt. Das Potenzial ist aber nach wie vor da. Eine Bilanz.
Nur ganz wenige Tennisprofis würden Nein sagen zu einer Saison wie sie Stan Wawrinka 2020 gespielt hat. Er gewann 65 Prozent seiner Matches (15:8 Siege), das ist eine bessere Quote als in den letzten beiden Jahren. Und dass er auch das zweite volle Jahr nach seinen zwei schweren Knieoperationen in den Top 20 beenden wird, ist alles andere als selbstverständlich. Doch Stan Wawrinka ist eben nicht einer von vielen. Seine Ansprüche liegen höher.
Was fehlte, waren sowohl Konstanz als auch ein echter Exploit. Wawrinka startete und beendete das Jahr mit starken Auftritten. Nach dem einzigen Halbfinal des Jahres auf ATP-Stufe in Doha feierte der 35-jährige Waadtländer im Januar am Australian Open seinen schönsten Erfolg, als er im Achtelfinal die Weltnummer 4 Daniil Medwedew in fünf Sätzen niederrang. Im Viertelfinal scheiterte er danach an Alexander Zverev. Ganz ähnlich endete seine Saison letzte Woche in Paris-Bercy. Wawrinka durfte sich gegen Andrej Rublew über einen schönen Sieg freuen, ehe er erneut gegen Zverev verlor.
Von Corona ausgebremst
Dazwischen lag allerdings viel Mittelmass. Pech für den dreifachen Grand-Slam-Champion war, dass er nach dem durchaus gelungenen Start mit einem weiteren Viertelfinal in Acapulco wie alle anderen auch von der Coronapause ausgebremst wurde. Im Herbst kam er nie mehr richtig auf Touren, obwohl er das US Open ausliess und sich früh auf die Sandsaison konzentrierte. Die gewünschten Resultate blieben dennoch aus. In Rom verlor er in der 1. Runde gegen Lorenzo Musetti, Nummer 249 der Welt, am French Open gegen Hugo Gaston, ATP-Nummer 239. Der letzte seiner bis jetzt 16 ATP-Titel zu Hause in Genf liegt bereits dreieinhalb Jahre zurück. Gleich nach dem Neustart kam im August in Prag ein Turniersieg auf Challenger-Stufe hinzu – allerdings gegen lauter Spieler ausserhalb der Top 100.
«Er hat nicht die Stabilität eines Murray, Djokovic, Federer oder Nadal, aber in seinen besten Momenten kann er sie alle schlagen.»
Ex-Coach Magnus Norman
So bleiben eine ganze Reihe von Fragen. Was also ist für Wawrinka im Spätherbst seiner Karriere noch möglich? Wie gross ist seine Motivation noch, alles für den Erfolg zu tun? Wozu ist sein von einer langen und intensiven Karriere geschundener Körper noch fähig? Wie wird seine Coaching-Situation funktionieren? Seine grössten Erfolge feierte der Doppel-Olympiasieger mit Magnus Norman. Kurz vor dem French Open trennten sich die beiden aber «im gegenseitigen Einvernehmen» zum zweiten Mal. An der Seite von Wawrinka blieb Dani Vallverdu, der schon Grössen wie Andy Murray, Tomas Berdych, Grigor Dimitrov und Juan Martin Del Potro betreute. Der Venezolaner beendete letzte Woche die Zusammenarbeit mit seinem zweiten Schützling Karolina Pliskova. Damit ist der Weg frei, dass er sich ab jetzt zu 100 Prozent um den Schweizer kümmern kann.
Wawrinka gab bei mehreren Gelegenheiten zu, dass die letzten Monate mit den Einschränkungen durch Corona nicht einfach waren. Er verzichtete denn auch auf eine Teilnahme in der Blase des US Open. Nach Australien will er aber reisen, um das kommende Jahr in Topform zu beginnen. «Er hat nicht die Stabilität eines Andy Murray, Novak (Djokovic), Roger (Federer) oder Rafa (Nadal), aber in seinen besten Momenten kann er sie alle schlagen», sagte Magnus Norman in diesem Sommer. Ob er das noch immer kann, muss Wawrinka aber erst wieder beweisen.
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