Von Dienstag bis Samstag findet im Velodrome in Grenchen die Bahn-EM statt. Der Schweizer Teamleader Claudio Imhof ist nach seiner Olympia-Ausbootung für den Heimauftritt besonders motiviert.
Claudio Imhof gehört zum Inventar des Bahnradsports. Der Thurgauer war bereits 2010 Teil des Schweizer Nationalteams, als in Polen erstmals kontinentale Titelkämpfe auf der Bahn stattgefunden hatten. Ein Jahr später gewann er im niederländischen Apeldoorn an der Seite von Cyrille Thiéry EM-Silber im Madison – es sollte nicht seine letzte Medaille bleiben. Bis heute kamen eine weitere silberne und drei bronzene Auszeichnungen dazu, die Hälfte davon holte Imhof als Mitglied des Schweizer Bahnvierers.
Während viele seiner Teamkollegen der Bahn irgendwann einmal den Rücken gekehrt und ihr Glück auf der Strasse gesucht haben, ist Imhof dem Oval immer treu geblieben. Er war schon nahe dran, einen anständigen Vertrag als Strassenprofi zu erhalten, gewichtete das Bahn-Projekt aber stets höher. Umso grösser war im letzten Frühling die Enttäuschung, als er nicht für die Olympischen Spiele in Tokio selektioniert wurde.
Schlaflose Nächte
«Ein Schock» sei es gewesen, als er von der Nicht-Berücksichtigung erfahren habe, sagt der Ostschweizer, der mitverantwortlich war, dass sich der Bahnvierer für die Sommerspiele in Japan qualifiziert hatte. Weil er bei teaminternen Leistungstests nicht die erhofften Werte lieferte, warfen ihm die Trainer fehlende Form vor. «Ich finde den Entscheid heute noch ungerecht und nicht angebracht.» Trotzdem sei es ihm relativ rasch gelungen, die Enttäuschung wegzustecken. Bereits an der Tour de Suisse im Juni bewies er im Dress des Schweizer Nationalteams mit einer angriffigen Fahrweise, was er zu leisten imstande ist.
Nun erhält Imhof an der Heim-EM in Grenchen die nächste Chance zu zeigen, dass er bei der Olympia-Selektion zu Unrecht übergangen wurde. «Ich bin zuversichtlich, aber auch ein wenig nervös», sagt er kurz vor dem Auftakt. Als Olympia-Revanche will er die Heim-EM aber nicht verstehen. «Ich versuche das Thema so gut wie möglich auszublenden, mir keinen zusätzlichen Druck zu machen.» Klar habe er nach dem Selektionsentscheid der Trainer schlaflose Nächte gehabt und sich fürchterlich aufgeregt. Nachtragend sei er aber nicht. «Sonst wäre ich längst nicht mehr dabei.»
Erfahrungen weitergeben
In der Teamverfolgung, die als «Königsdisziplin» auf der Bahn gilt, ist Imhof nach wie vor ein wichtiger Eckpfeiler in der Schweizer Mannschaft. Seine Erfahrungen sind nach dem definitiven Wechsel von Stefan Bissegger auf die Strasse und dem Rücktritt von Théry Schir gefragter denn je. Vom Olympia-Team ist in der neu formierten Schweizer Equipe einzig Valère Thiébaud noch dabei. Das Quartett für die Titelkämpfe in Grenchen komplettieren Simon Vitzthum und EM-Debütant Alex Vogel. Richtig viel Erfahrung an Grossanlässen bringt indes nur Imhof mit.
Die Rolle des 31-Jährigen aus Sommeri im jungen Schweizer Team geht deshalb über jene des Fahrers hinaus. Als Teamsenior agiert er im Training als eine Art Bindeglied zwischen Trainer und Athleten. «Mir macht es Spass, mein Wissen den Jungen weiterzugeben», sagt der siebenfache WM-Teilnehmer. Dabei gehe es oftmals um Details, wie das Gespür für die richtige Linienwahl oder Beschleunigung zu finden. Nuancen, die am Ende einen perfekten Lauf ausmachen können.
Mit einem perfekten Lauf wollen Imhof und Co. beim Heimauftritt überzeugen. Weil sich viele Nationen zu Beginn eines Olympia-Zyklus neu ausrichten, ist es relativ schwierig abzuschätzen, wie stark die Konkurrenz in Grenchen aufgestellt ist. Auf ein Ergebnis will sich Imhof deshalb nicht festlegen. Trotz der fehlenden Erfahrung sieht er den Bahnvierer jedoch leicht besser aufgestellt als vor einem Jahr, als die Schweiz (nicht in Bestbesetzung) hinter Russland und Italien EM-Bronze gewann.
Schuften in der Engadiner Höhenluft
Um sich für den Herbst fit zu machen, weilte Imhof mit dem Schweizer Mountainbike-Nationalteam über den Sommer fünf Wochen lang im Höhentrainingslager in St. Moritz. Mit langen Passfahrten und Zeitfahreinheiten im Tal schuf er im Engadin die Grundlagen, den Feinschliff für die Heim-EM holte er dann direkt auf der Bahn in Grenchen.
Im Solothurner Velodrome, wo er vor gut einem Jahr den Schweizer Stundenrekord aufgestellt hat, will Imhof aber nicht nur mit dem Bahnvierer eine gute Zeit hinlegen. Auch in der Einzelverfolgung am Donnerstag zählt er als Landesmeister und Weltranglistenerster zu den Medaillenkandidaten. Und zum Abschluss der Titelkämpfe tritt Imhof am Samstag zusammen mit Tristan Marguet im Madison an und hofft dabei auf ein «grosses Schlussfeuerwerk». Trotz all dem Frust über seine Olympia-Ausbootung: Das Feuer in ihm brennt weiter.