Nach der erfolgreichen Kandidatur für Olympia 2026 zeigt sich Italien ungewöhnlich geeint. Die Vergabe der Spiele an Mailand und Cortina d'Ampezzo verdeutlicht aber auch eine alte Rivalität.
Schlagartig waren alle Probleme vergessen. «Ein Traum wird Wirklichkeit», erklärte Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte nach dem Zuschlag für die Austragung der Winterspiele 2026 euphorisch. «Wir haben die Chance, das beste Gesicht Italiens zu zeigen.» Die Zeitung «Gazzetta dello Sport» sah ein «italienisches Wunder». «Unglaublich, Brüder und Schwestern: Italien ist wieder erwacht», schrieb sie. Politiker fast aller Parteien beglückwünschten das Land und beschwörten einen Geist der Einheit – den es in Realität allerdings längst nicht so gibt.
«Der Sport hat gewonnen, seine Reinheit. Und der Enthusiasmus eines ganzen Landes, weit weg von der Logik der Macht, weit weg von jedem Interesse», sagte der Chef der regierenden Fünf-Sterne-Bewegung, Luigi Di Maio. Das klang jedoch verlogen. Denn es war seine Partei, welche die Bewerbung behindert hat. Die populistische Regierungskoalition in Rom aus Sternen und rechter Lega war und ist gespalten: Während die im Norden starke Lega die Spiele gepusht hat, zierten sich die Sterne, traditionell ein Gegner von Grossprojekten.
Das von einer Sterne-Bürgermeisterin geführte Turin, Olympia-Austragungsort von 2006, zog sich dann auch aus der Kandidatur zurück. Genauso wie vor knapp drei Jahren die Hauptstadt Rom, deren Bürgermeisterin von den Sternen die Sommerspiele 2024 dann doch nicht haben wollte. Sie würden die klamme Stadt zu viel Geld kosten, so die Begründung.
Der Norden erblüht, Rom schaut zu
Nun schaut Rom zu, während Mailand jubelt. Die Finanzmetropole im Norden boomt. Mit der Ausrichtung der Expo 2015 hat Mailand bewiesen, dass es von Grossevents profitieren und massenhaft Touristen anlocken kann. Im Gegensatz zu Rom, das in Müll, Verkehr, Schlaglöchern und Selbstmitleid versinkt, blüht der ewige Rivale im Norden auf. Eiskunstlauf und Eishockey sollen hier stattfinden, und ein Olympisches Dorf gebaut werden. Alles freilich ökologisch und nicht zu teuer.
Nördlich von Mailand, in Bormio und Livigno, werden die alpinen Skirennen der Männer und die Snowboard-Wettbewerbe stattfinden. In Cortina, wo 2021 auch die Alpin-WM ausgetragen wird, sollen die Frauen Skifahren. Der mondäne Ort hofft auf neuen Glanz, nachdem er 1956 die Winterspiele schon einmal ausgerichtet hat. «Das Projekt ist sehr schön. Es gibt keine Gigantomanie, investiert wird vor Ort und in die Erneuerung der bestehenden Anlagen», sagte die italienische Skirennfahrerin Sofia Goggia und schwärmte von Italiens Schönheit und Gastfreundschaft. In Cortina Skifahren sei wie Poesie, «die Berge, die Farben...» Kritiker warnten jedoch vor einer ungeahnten Kostenexplosion.
Die ausrichtenden Regionen Lombardei und Venetien sind finanziell und organisatorisch ohne Frage in der Lage, die Spiele zu einem Spektakel zu machen. Auch die Region Trentino-Südtirol ist unter anderem mit Biathlon dabei. Sie sind das Dreigestirn der reichsten und effizientesten Regionen Italiens. Und sie alle drei pochen auf mehr Autonomie von der Hauptstadt Rom.
Ein Kick für die kränkelnde Wirtschaft?
Die Bellezza eines ganzen Landes soll in den zwei Olympia-Wochen gezeigt werden: Von der Eröffnungsfeier im legendären San-Siro-Stadion in Mailand bis zur Abschlussfeier in der historischen Arena von Verona. An Sportbegeisterung fehlt es in Italien genauso wenig wie an herrlichen Kulissen.
Arbeitsplätze, neue Strassen, bessere Infrastruktur, mehr Tourismus: Italien hofft auf einen ökonomischen Kick. Ein Land, das wirtschaftlich trotz seines Potenzials nicht auf die Beine kommen will. Die Verschuldung ist so hoch wie in kaum einem anderen Land der Welt. Die europakritische Populisten-Regierung liegt mit der EU deshalb seit Monaten im Clinch. Vielleicht beschwören die Olympischen Spiele auch wieder den europäischen Geist? Ein Freund der ganzen Welt wolle Italien nun sein, schreibt die Mailänder Zeitung «Corriere della Sera». Italiens Gold solle wieder glänzen.
Jetzt beginnt allerdings der schwierige Teil. In sieben Jahren gilt es Anlagen, Olympia-Dörfer und Infrastruktur zu bauen – und dabei die Krankheiten Korruption, Illegalität und überbordende Bürokratie zu überwinden, ohne neue Finanzlöcher zu schaffen. Nur wenn es auch gelingt, den Süden in den Enthusiasmus miteinzubeziehen, wird die Spaltung zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden nicht noch spürbarer.