Am 21. Juli 1938 steigen vier Bergsteiger aus Deutschland und Österreich in die Eigernordwand ein. Ihnen gelingt in 3 Tagen, was Alpinisten auf der ganzen Welt bejubeln: Sie bezwingen die «Mordwand».
Der Eiger. Er ist nicht der höchste Berg der Welt, und auch nicht der schönste, seine Besteigung ist nicht die schwierigste – und dennoch war der Eiger zu jener Zeit DER Berg. Die Ost-, Süd- und Westseite präsentierte sich wie jeder andere Berg. Aber die Nordseite machte den Eiger zur Legende.
Beim Einstieg in die Wand schauen die Bergsteiger hoch und denken: Grosser Gott! Rund 1650 m hoch ist die Wand – eine senkrechte Eiswand, wo die Sonne nie hinkommt, man jedem Sturm schutzlos ausgeliefert ist, wobei das Wetter in atemberaubendem Tempo umschlagen kann. Und trotzdem steht die Eigernordwand so nah an der Zivilisation, an den Hotels, dass die Kletterer das Geplapper der Leute auf der Kleinen Scheidegg hören können.
Zuvor bezahlten acht Alpinisten ihr Unterfangen mit dem Leben
An der Eigernordwand fanden die dramatischsten Rettungen in der Geschichte des Alpinismus statt. Die grossen Nordwände in den Alpen wurden in den frühen Dreissigerjahren eine um die andere bezwungen – nicht aber jene des Eiger.
Als am 21. Juli 1938 Heinrich Harrer aus Kärnten, Fritz Kasparek aus Wien, Andreas Heckmair und Ludwig Vörg, beide aus München, ihr Abenteuer in Angriff nahmen, bezeichneten viele die Wand als «Mordwand». Vor Heckmair und Harrer und Gefährten hatten acht Alpinisten den Versuch, die Eigernordwand als erste zu bezwingen, mit dem Leben bezahlt.
Am bekanntesten ist das Drama um die deutsch-österreichische Viererseilschaft, die 1936 in der Wand starb. Nachdem eine Lawine drei Bergsteiger in den Tod gerissen hatte, hoffte Toni Kurz in der Wand noch auf Rettung. Doch wegen des schlechten Wetters kamen andere Bergsteiger nicht an ihn heran – Toni Kurz starb im Seil, nur wenige Meter über den Helfern hängend. Das Drama wurde verfilmt (Nordwand/2018). So blieb die Erstbesteigung der Nordwand weitere zwei Jahre lang ein unerfüllter Bergsteiger-Traum.
Die Huldigung Hitlers
Auch die Expedition von 1938 wäre beinahe schief gelaufen. Ein Wetterumschwung brachte die vier Bergsteiger an ihre Grenzen. Als sie nach drei Tagen den Grat unter dem Gipfel erreichten, verloren sie im Nebel die Orientierung. Andreas Heckmair schrieb in seinen Memoiren: «Das wäre doch Pech gewesen: Auf der Nordseite durchzukommen und über die Südseite abzustürzen, weil man den Gipfel übersehen hat...»
Aber am 24. Juli 1938 war es geschafft: Das Quartett stieg als erstes durch die Nordwand auf den Eiger.
Die Nazi-Propaganda schlachtete den Alpinismus-Grosserfolg aus. Schon im Rahmen der Sommerspiele von Berlin 1936 hatte Adolf Hitler den Erstbesteigern der Eigernordwand eine Goldmedaille versprochen. Grossdeutschland kam es mit Blick auf den gerade erfolgten «Anschluss» Österreichs sehr gelegen, dass die vier Bergsteiger, die getrennt gestartet waren, die berühmte Nordwand als gemeinsame deutsch-österreichische Seilschaft erklommen hatte.
Die Vorwürfe, sie hätten ihre grossartige Leistung im Dienst der Nationalsozialisten erbracht, wiesen die Erstbezwinger später zurück. Doch die Huldigung Hitlers, der sich bei einem Empfang mit ihnen schmückte, nahmen sie gerne entgegen. Harrer war nicht nur Mitglied der NSDAP, sondern auch der SS – was er später als «dummen Fehler» bereute. Heckmair und Vörg wurden NS-Bergführer. Heckmair, der 98 Jahre alt wurde, schickte man später mit der Wehrmacht an die Front, weil er als politisch unzuverlässig galt. Vörg fiel in Russland. Kasparek kämpfte ebenfalls im Krieg und verstarb 1954 bei einer Anden-Expedition in Peru.
Heinrich Harrer, der 2006 im Alter von 93 Jahren als letztes Mitglied des Eiger-Quartetts verstarb, lieferte weiter Stoff für ein Hollywood-Drama. Verfilmt wurde aber nicht Harrers Triumph am Eiger. Harrer brach 1939 mit der deutsch-österreichischen Nanga-Parbat-Expedition nach Indien auf. Auf der Flucht vor der britischen Kolonialverwaltung gelangte er nach Tibet und wurde zum Lehrer des elfjährigen Dalai Lama, des geistlichen und weltlichen Oberhauptes der Tibeter. In «Sieben Jahre in Tibet» spielte Brad Pitt den Bergsteiger.
«Nachfolger» Steck rennt in weniger als zweieinhalb Stunden die Nordwand hoch
Insgesamt sind über 70 Bergsteiger in der Eigernordwand ums Leben gekommen, zudem mussten viele weitere unter teils enormem Personal- und Materialaufwand gerettet werden. Zwei Kletterer werden noch immer vermisst. Bei einem ist fraglich, ob er überhaupt in die Wand eingestiegen ist – von ihm wurde nur das Zelt am Wandfuss gefunden.
Derweil vor 82 Jahren die Erstbesteiger drei Tage für die Erklimmung der Nordwand benötigten, rannte Ueli Steck am 17. November 2015 dank vorhandener Haken und Fixseile in 2:22:50 Stunden über die Heckmair-Route durch die Wand.