Fast anderthalb Jahre muss der Curlingsport mittlerweile ohne internationale Titelkämpfe auskommen. Die durch die Pandemie verursachte Durststrecke geht am Freitag mit dem Start der Männer-WM zu Ende.
Die Schweiz stellt derzeit im internationalen Männercurling zwei starke und nahezu gleichwertige Teams. Die Genfer um Skip Peter De Cruz setzten sich an der Schweizer Meisterschaft und in den anschliessenden Best-of-5-Stichkämpfen (3:2 nach einem 0:2-Rückstand) äusserst knapp gegen die Bern-Zähringer-Crew um Skip Yannick Schwaller durch. Die Genfer qualifizierten sich dadurch zum vierten Mal seit 2014 für ein WM-Turnier und brachten sich in die günstigste Position im Kampf um den Startplatz an den Olympischen Spielen 2022 in Peking.
Erreichen sie an den Titelkämpfen Calgary den Final, sind die Genfer als Schweizer Olympia-Team gesetzt. Andernfalls werden sie im Herbst zu einer weiteren Ausscheidung gegen Bern Zähringer antreten müssen. Zuerst einmal geht es für die Genfer an der WM auch darum, der Schweiz den Olympia-Quotenplatz auf direktem Weg zu sichern. Hierfür müssen sie unter die ersten sechs kommen – oder unter die ersten sieben, falls Olympia-Gastgeber China einen der ersten sechs Plätze unter den 14 Nationen belegt.
Nationalcoach als Glücksbringer
Die an sich noch junge und dennoch sehr erfahrene Genfer Crew bringt alles mit, um trotz erstklassiger Gegnerschaft Weltmeister zu werden. Nationalcoach Thomas Lips könnte in Calgary nicht nur viel Kompetenz ins Team bringen, sondern auch als Glücksbringer fungieren. Der 51-jährige Zürcher führte 2012 an der Frauen-WM in Lethbridge in der kanadischen Provinz Alberta ein Frauenteam ganz aus dem Osten der Schweiz als Teamcoach an: Davos um Skip Mirjam Ott. Die Davoserinnen bescherten damals dem Schweizer Frauencurling den ersten WM-Titel seit 29 Jahren. Diesmal steht Lips einem Männerteam ganz aus dem Westen der Schweiz vor – an einer WM in Alberta. Und der letzte WM-Titel des Schweizer Männercurlings liegt abermals 29 Jahre zurück.
Tatsächlich lassen sich die Triumphe der Schweizer Männer auf dieser Stufe nach wie vor an einer Hand abzählen. Vor Biel Touring (Markus Eggler) 1992 waren auch Lausanne Riviera (Jürg Tanner) 1981 und Zürich Crystal (Ottavio Danieli) 1975 Weltmeister geworden. Die Schweizer Frauen dagegen sind mittlerweile bei sieben WM-Titeln angelangt; fünf davon gewannen sie ab 2012.
Das Genfer Team mit Valentin Tanner, Peter De Cruz, Sven Michel und der versierten Nummer 4 Benoît Schwarz hat im Schweizer Curling bereits jetzt einen Ausnahmestatus erlangt. Dies nicht nur als eines von vier Männerteams, das eine Olympiamedaille gewann (Bronze in Pyeongchang 2018), sondern auch mit seiner beeindruckenden Konstanz an den internationalen Titelkämpfen. Sieben von acht Mal kehrten sie mit Medaillen zurück. Nur an der EM 2018 gingen sie leer aus. Alle ihre Weltmeisterschaften (2014, 2017, 2019) schlossen sie im 3. Rang ab. Nur Jürg Tanners Lausanne Riviera (1980 bis 1982) gewann ebenfalls drei Medaillen an den ersten drei WM-Einsätzen. Also könnten die Genfer in Calgary alleinige Rekordhalter werden.
Harte Konkurrenz
Wie immer an einer WM ist das Teilnehmerfeld in Calgary erstklassig besetzt. Die Curler aus Edmonton um Skip Brendan Bottcher geben ihr WM-Debüt, aber als frische kanadische Meister gehören sie von Amtes wegen zu den ersten Titelanwärtern. Sie sind ähnlich stark einzustufen wie die schwedischen Titelsammler aus Karlstad um Skip Niklas Edin, die zuletzt (2018 und 2019) zweimal Weltmeister wurden. Auch an den Schotten um Skip Bruce Mouat vorbeizukommen wird für die Genfer nicht einfach sein.