Die Schweiz brilliert regelmässig als Gastgeber von Titelkämpfen – so wie dieser Tage an der Rad- und Para-Cycling-Strassen-WM in Zürich. Ist sie auch ein gutes Pflaster, um Rad-Profi zu werden?
«Ja», sagen alle Befragten (fast) ohne Einschränkungen. Wer als Schweizerin oder Schweizer in die Weltspitze vorstossen will, muss gegenüber der Konkurrenz im Ausland kaum Nachteile in Kauf nehmen – auch wenn die Schweiz keine Hochburg des Strassen-Radsports ist. Es gilt zwar ein paar Hindernisse mehr zu nehmen als beispielsweise in Belgien oder den Niederlanden, aber Widerstände zu überwinden formt auch im Sport.
Jan Christen, der einst zu den ganz Grossen zählen will, hat sich längst aus der Schweiz verabschiedet. Das UAE-Team mit Leader Tadej Pogacar hat das Juwel bereits 2022 als 18-Jährigen unter Vertrag genommen. Der Aargauer kann sich mit der Frage nach den Möglichkeiten oder eben fehlenden Möglichkeiten hierzulande nicht anfreunden. «Am Schluss liegt alles in der Hand des Athleten. Wenn du das Ziel Profi im Kopf hast, sehe ich als Schweizer keinen Nachteil.»
Sein U23-Kollege im Nati-Dress, Fabian Weiss, sagt: «Ich spüre, dass die Kollegen im Ausland früher auf die Karte Sport setzen. In der Schweiz kommt zuerst der Schulabschluss oder die Lehre.» Weiss will dies aber nicht als Nachteil verstanden wissen. «Das zweite Standbein gibt einem auch eine Sicherheit, die befreit. Man weiss ja nie, wann es mit dem Sport fertig ist.» Zudem habe die Schweiz spitzensport-freundliche Schulen und Arbeitgeber. «Der Verband mit der Förderung und das Militär helfen auch mit», hebt der Absolvent der Spitzensport-RS hervor.
Ähnlich sieht es Stefan Bissegger. Der Thurgauer hat sich bei den Profis etabliert und zählt im Zeitfahren zu den Besten. Der Olympia-Sechste von Paris betont: «Die Schweiz ist ein gutes Land. Man kann überall Velo fahren. Die Schweizer haben Geld, und dank der Ausbildung ist man abgesichert.» Zudem würden seit Kurzem die Schweizer Radteams Tudor und Q36.5 den Übergang ins Profitum erleichtern.
Das Drumherum stimmt
Patrick Müller, der Sportchef von Swiss Cycling, hebt die Vorteile hervor: «Punkto Sportwissenschaft, Trainerausbildung, Nachwuchsprojekten, Talenterfassung etc. machen wir im Vergleich zum Ausland viel.» Mit dem sogenannten VO2max-Test könne man ja in den Ausdauer-Sportarten relativ einfach feststellen, wer Potenzial habe. Nebst dem Training der Physis seien auch die Punkte wie Technik, Taktik oder Schule/Beruf wichtig. «Eine Spitzensport-Karriere, die etwa zehn Jahre dauert, ist auch in der Schweiz möglich», hält Müller fest. Man starte hierzulande etwas später, dafür stimme das Rundum-Paket.
Der Frauen-Nationaltrainer Edi Telser, ein Südtiroler, lobt die Schweiz. Der Einstieg ins Profitum sei ein bisschen schwieriger, weil es weniger Teams gebe oder das Schulsystem die Karriere etwas verzögere. «Aber jene, die diese Phase überstehen, sind noch frisch. Die sind im Training noch nicht am Anschlag oder wie im Ausland teilweise verheizt.»
Mit dem Mountainbike teilen
«Die Guten schaffen es immer», sagt Männer-Nationaltrainer Michael Albasini. Man habe in der Schweiz aus verschiedenen Gründen eine geringere Dichte an Talenten, und diese hätten einen etwas komplizierten Weg vor sich. «Wir müssen zu ihnen mehr Sorge tragen als im Ausland.»
Der Ex-Profi verweist noch auf eine hausgemachte Tatsache. «Wir müssen uns die Talente mit dem Mountainbike teilen.» Mountainbike sei als Einstieg in den Radsport sehr geeignet und beliebt, auch weil die Kinder nicht auf den Strassen fahren müssten. «Aber einige Talente bleiben im Wald stecken, obwohl sie auf der Strasse mehr Potenzial hätten.»
hle, sda