Marcel Hug verpasst an den Paralympics in Paris die Goldmedaille über 5000 m knapp. Der 38-jährige Thurgauer kann die Enttäuschung nicht kaschieren, sieht die Silbermedaille aber als Ansporn.
Um 22.14 Uhr ist es soweit. Marcel Hugs Name schallt durchs weite Rund des sich allmählich leerenden Stade de France. Der 38-Jährige steht am Samstagabend unten auf der Tartanbahn auf einem Podest. Seine Rennkleider hat er gegen die offizielle Garderobe eingetauscht, welche Swiss Paralympic für so eine «Victory Ceremony» vorgesehen hat: Blaue Hose, weisses Polo-Shirt und darüber die rote Jacke. Als sich der Lärmpegel erhöht, sein Name mit einem langgezogenen Ü ausgesprochen über die Lautsprecher transportiert wird und die Fans zu klatschen beginnen, bewegt er sich leicht nach vorne, hebt die rechte Hand und winkt mit der Andeutung eines Lächelns auf den Lippen ins Publikum.
Gemischte Gefühle
Es ist ein Prozedere, das Hug in seiner langen Karriere zigfach mitgemacht hat. Schliesslich hat der Thurgauer zig Medaillen gewonnen. Es ist aber doch ein ungewohntes Bild. Denn für einmal steht der Schweizer nicht in der Mitte, sondern von sich aus gesehen auf der rechten Seite.
Neben ihm steht Daniel Romanchuk, der Amerikaner, der bei diesem Rennen über 5000 m eine halbe Sekunde schneller war als er und damit bei Hug ein Gefühlschaos auslöst, als dieser versucht, das Geschehene zu analysieren. Denn einerseits ist da die Freude darüber, seine 13. Medaille bei Paralympics gewonnen zu haben. Andererseits schwingt in den Worten des Ostschweizers auch eine gewisse Enttäuschung mit. «Es tut schon ein wenig weh, dass es nicht ganz nach vorne gereicht hat», sagt er.
Hug spricht von einem «schwierigen» und phasenweise sogar «langweiligen» Rennen. Denn über lange Zeit ist er es, der das Feld anführt. Da aber seine Konkurrenten allesamt abwartend agieren und niemand Anstalten macht, Führungsarbeit zu leisten, fällt das Tempo immer wieder zusammen, was Hug verunmöglicht, mit einer Gruppe von Athleten einen gewissen Abstand zum Rest des Feldes zu schaffen.
Das schwierige Los des Favoriten
Er habe mehrmals versucht, zu attackieren. Das habe leider nicht geklappt, sagt Hug. «Ich habe gemacht, was ich kann. Daniel hatte am Schluss einfach die frischeren Arme.» Es ist die Erklärung, die er als fairer Sportsmann abgibt. In seinem Kopf kreisen in dem Moment aber auch die Gedanken, was er hätte anders machen können, damit es am Ende doch für seine siebte paralympische Goldmedaille gereicht hätte.
Denn es ist bei weitem nicht das erste Mal, dass er sich bei einem Rennen in einem passiven Teilnehmerfeld wiederfindet. Diese Herangehensweise der Gegner ist auch eine Form der Anerkennung. Da Hug bei jedem Rennen, in dem er antritt, Favorit ist, versuchen die Konkurrenten mit einer passiven Renngestaltung eine offene Ausgangslage zu erhalten und erst im Sprint die Entscheidung zu suchen. «Es ist eine mögliche Taktik, ich muss einfach eine Antwort darauf finden», sagt Hug.
Müsste er noch mehr attackieren, und dafür das Risiko eingehen, noch mehr Energie zu verpuffen, während die Gegner im Windschatten Kräfte sparen können? Es ist ein Gedanke, der ihm während der ersten Kurzanalyse durch den Kopf schiesst. Zufriedenstellen tut er ihn nicht.
Die schlechte Nachricht für die Konkurrenz
Es ist eine Knobelaufgabe, die Marcel Hug bei seinem ersten Final im Stade de France mit auf den Weg bekommen hat. «Ich habe jetzt noch etwas Zeit, mir zu überlegen, wie ich diese Aufgabe lösen kann», sagt Hug, der am Montag den Vorlauf über 1500 m bestreitet. Am Donnerstag stehen die 800 m auf dem Programm, und zum Abschluss folgt der Marathon.
Marcel Hug ist mit dem Ziel angereist, mindestens eine Goldmedaille mit nach Hause zu nehmen. Im ersten Versuch hat das nicht geklappt, aber der vierfache Gold-Gewinner der Spiele von Tokio bleibt zuversichtlich. Er sagt: «Jetzt habe ich zusätzlich Ansporn bekommen». Für die Konkurrenz könnte das keine gute Nachricht sein.