Der Mehrkämpfer Simon Ehammer tritt an der WM in Eugene an, um den Spezialisten im Weitsprung eins auszuwischen.
Das Potenzial für den Sprung aufs Podest ist beim Appenzeller vorhanden. Sein Trainer Karl Wyler analysiert.
«Es ist alles möglich», sagt Karl Wyler. Der Ostschweizer ist Simon Ehammers Nummer-1-Trainer auf dem Platz (sein Bruder René macht jeweils die Detailplanung), begleitet ihn in der Regel an die Wettkämpfe und weilt auch in Eugene vor Ort. Die Spritzigkeit, so der Coach, sei nach einem längeren Trainingsblock wieder da, die Form bewege sich bestimmt auf dem Level von Ratingen und Götzis, wo Ehammer in den beiden Zehnkämpfen sowohl die Schweizer Rekorde im Weitsprung (8,30/8,45) als auch im Zehnkampf (8354/8377) verbesserte.
Mit «alles möglich» schliesst Wyler auch die turbulenten Winde ein, die in der Nacht auf Samstag Schweizer Zeit im WM-Stadion vorherrschen dürften. «Es braucht auch ein bisschen Glück, damit man den Balken trifft», betont der Trainer. Denn Sicherheitssprünge, sofern es diese überhaupt gebe, könne man sich auf diesem Niveau kaum leisten. Ehammer werde den Anlauf im Bereich zwischen 39,7 und 40,5 m festlegen und dann durchziehen.
Ehammer wird die Qualifikation aggressiv angehen. «Wir vertrauen darauf, dass Simon in drei Versuchen den Balken einmal trifft, zumal er stabil anläuft.» Im Idealfall übertrifft der Schweizer gleich im ersten Versuch die Qualifikationsweite von rund 8,10 m (der genaue Wert liegt noch nicht vor) und spart Kräfte für den Final vom Sonntag. Als Mehrkämpfer kennt Ehammer die Vorgabe von nur drei Versuchen. «Das kann hier sicher ein Vorteil sein», meint auch Wyler. «Ein Scheitern wäre eine grosse Enttäuschung, denn Simon ist top 'zwäg'.»
Perfekter Absprung
Der Coach hebt im Weitsprung die eine grosse Stärke seines Athleten hervor: «Simon setzt den Speed optimal in Weite um.» Was Wyler mit dem Auge beim technisch komplexen Ablauf des Take-off sieht, unterstreicht ein Blick in die Resultatblätter. Ehammer schafft mit einer 100-m-Bestzeit von 10,46 Sekunden 8,45 m, andere Weitspringer bewegen sich mit Werten von knapp über 10,10 Sekunden bei Weiten um 8,20 m. Betrachtet man Ehammers Muskelaufbau, ist er ein vergleichsweise feiner Typ. Und leicht fliegt besser. Der 22-Jährige hat das bessere Kraft-Last-Verhältnis als die bulligen Sprinter, die mit ihrem Speed die wichtigste Voraussetzung für den Weitsprung mitbringen würden, aber eben nicht mehr wie einst der filigrane Carl Lewis in dieser Disziplin auftauchen.
Die Belastungen im Weitsprung sind extrem. Deshalb achtet Wyler auf die Qualität. In der Vorbereitungswoche in den USA hat er mit seinem Schützling Hürdengymnastik gemacht, Kugelstossen und Diskus trainiert und nur sechs Weitsprünge mit vollen Anlauf angeordnet – mit Augenmerk auf die Technik und einen flüssigen Absprung. Weniger ist mehr. Ehammers Souplesse im Weitsprung gründet auch auf der Vielseitigkeit als Athlet.
Der Entschied, in Eugene auf den Weitsprung zu setzen, fusst auf dem Zeitplan der zwei Grossanlässe 2022 und nicht in der Überlegung, in welcher Disziplin die Medaillenchancen am grössten sind. Die Zehnkämpfe an der WM in Eugene und der EM in München trennen nur drei Wochen. «Das ist zu kurz, zumal noch der Jetlag bewältigt werden muss», betont Wyler. Aus diesem Grund drängte sich für Eugene der Weitsprung auf. Wären die Weltmeisterschaften in USA der einzige Grossanlass 2022, dann hätte Ehammer in Eugene den Weitsprung gleich zu Beginn und den Zehnkampf gegen Ende der Titelkämpfe bestritten. Zuerst einen Zehnkampf und dann noch Weitsprung wäre hingegen keine Option gewesen.
hle, sda