Robert Dill-Bundi gewinnt an den Olympischen Spielen 1980 in Moskau die Goldmedaille in der Einzelverfolgung. Nach seinem Exploit sorgt der Walliser Bahnradfahrer mit einem Kuss für viel Aufruhr.
Die Szene hat noch heute seinen festen Platz in der Geschichte des Radsports: Robert Dill-Bundi winkt auf seiner Siegerrunde dem Publikum zu, legt sein Velo ab und küsst die Lärchenholzbahn im Krylatskoye-Stadion von Moskau. Was für den 21-Jährigen aus Siders nach seinem Triumph im Verfolgungsrennen über 4'000 Meter eine spontane, von den Emotionen getriebene Geste ist, verstehen viele anders. Denn die Sommerspiele von 1980 waren keine gewöhnlichen.
Die politischen Spannungen im Zuge des Kalten Krieges wirkten sich auch auf den Sport aus. Auf den Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan reagierten zahlreiche westliche Nationen, angeführt von den USA, mit einem olympischen Boykott. Andere Länder wie die Schweiz liessen die jeweiligen nationalen Sportverbände entscheiden, ob sie Athleten in die Hauptstadt der UdSSR entsenden oder nicht. Die Schweiz reiste schliesslich ohne Kunstturner, Schützen, Fechter und Reiter an und kehrte nach zwei durchzogenen Wochen mit zwei Goldmedaillen von Dill-Bundi und dem Zürcher Judoka Jürg «Tschüge» Röthlisberger im Gepäck zurück.
Die Rückkehr in die Schweiz war für Dill-Bundi jedoch nicht nur mit Freude verbunden. Seine Jubelgeste, die weltweit für Wirbel gesorgt hatte, wurde vielerorts nicht goutiert. Er wurde als Landesverräter und Kommunistenschwein beschimpft; als Westler, der mit den Sowjets sympathisiert. Trotzdem wurde er 1980 zum Schweizer Sportler des Jahres gekürt.
«Ich vergass jeden Schmerz»
Fast 40 Jahre später erinnert sich Robert Dill-Bundi noch gut an die historische Szene. «Die Bahn und ich, das war Liebe, deshalb küsste ich sie», sagt er im Telefongespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Ihm sei in diesem Moment die politische Dimension seines Handelns nicht bewusst gewesen. Im Zentrum stand für ihn primär die Freude am Sieg, nachdem vier Jahre zuvor bei den Sommerspielen in Montreal alles schiefgelaufen sei.
Damals stand Dill-Bundi als erst 17-jähriger Junioren-Weltmeister am Start, zerbrach aber am grossen Druck und wurde nur 14. «Das wollte ich nicht noch einmal erleben. Deshalb musste ich an meiner Psyche arbeiten.» Sein Rezept hiess Sophrologie, eine Art Entspannungstechnik, die körperliche und geistige Beschwerden lindern soll. «In Moskau war ich so bereit, dass ich jeden Schmerz vergass und mich voll auf das Rennen konzentrieren konnte. Ich wollte meine Gegner ‹umbringen›, das hat ihnen dermassen Angst eingejagt», so Dill-Bundi, der im Finallauf dem Franzosen Alain Bondue über sieben Sekunden abgenommen hatte.
Dass während der Medaillenübergabe statt der Schweizer die olympische Hymne abgespielt wurde, sei ihm egal gewesen. «Das war Teil der Abmachung. Unsere Disziplin war die einzige, bei der dreimal die olympische Flagge gehisst wurde», erinnert er sich.
Ausgefallene Materialwahl
Neben seinem Bahnkuss überraschte Dill-Bundi in Moskau auch mit seiner Materialwahl. Als erster Athlet trug er einen einteiligen Rennanzug. Seinen aerodynamischen Helm, der heute im Olympischen Museum in Lausanne zu bestaunen ist, hatte er von einem bereits ausgeschiedenen tschechischen Konkurrenten bekommen.
Bis heute ist Dill-Bundi der einzige Schweizer Bahnradfahrer, der Olympia-Gold gewonnen hat. Eine goldige Karriere habe er nach seinem Olympiasieg aber keine hingelegt, meint Dill-Bundi. So herausragend er als Amateur gefahren war, so schwertat er sich danach als Profi. Auf der Bahn wurde er 1984 in Barcelona immerhin noch Weltmeister im Keirin. Auf der Strasse gewann er 1982 eine Etappe des Giro d'Italia und im darauffolgenden Jahr den Prolog der Tour de Romandie. In den letzten Jahren seiner Karriere blieben die Erfolge aber aus, sodass er 1988 vom Spitzensport zurücktrat.
Krebsdiagnose und finanzieller Ruin
Seither erlitt Dill-Bundi zahlreiche Schicksalsschläge. 1999 diagnostizierten die Ärzte bei ihm einen Hirntumor. Mehrere Operationen, eine Chemotherapie und eine riskante Elektrotherapie später galt er 2010 als geheilt. «Sie haben mir ein Drittel des Hirns rausgeschnitten», erklärt Dill-Bundi. Das Sprechen falle ihm deshalb nicht mehr so leicht wie früher.
Der Olympia-Held von 1980 blieb aber auch in den letzten zehn Jahren weder von gesundheitlichen noch von privaten Rückschläge verschont. Ein Neuanfang in Kuba mit seiner zweiten Ehefrau endete 2013 im finanziellen Ruin. Im gleichen Jahr verursachte er in Aigle einen folgenschweren Autounfall mit sieben Verletzten, weil er während der Fahrt das Bewusstsein verloren hatte. Es folgte ein Herzinfarkt und eine Operation am offenen Herzen.
Heute lebt der 61-Jährige, der drei erwachsene Kinder aus erster Ehe hat, in einer bescheidenen Zweizimmerwohnung im Walliser Dorf Savièse. Er bekommt eine IV-Rente und ist sein Leben lang auf Medikamente angewiesen. «Den Olympiasieg hatte ich in den eigenen Händen, der Krankheit aber bin ich ausgeliefert», sagt er dazu. Seinen Kampfgeist hat Robert Dill-Bundi deswegen aber nicht verloren.