Die Corona-Pandemie stoppte auch die Handball-Nationalmannschaft. Durch die Absage der WM-Playoffs wurde das Team von Michael Suter der Chance beraubt, sich erneut für eine Endrunde zu qualifizieren.
Michael Suter ist ein sehr zielstrebiger Mensch mit grosser Akribie. Nach der EM-Teilnahme im Januar, dem ersten grossen Turnier für die Schweiz seit 14 Jahren, wollte der Handball-Nationaltrainer nun mit der Qualifikation für die WM den nächsten Schritt vollziehen. Die Coronavirus-Pandemie hat das aber verunmöglicht. Im Interview mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA spricht er über die aktuell schwierige Situation.
Michael Suter, in der vergangenen Woche wurden die zunächst auf Anfang Juli verschobenen WM-Playoffs, in denen sie auf Island getroffen wären, endgültig abgesagt. Damit steht fest, dass die Schweiz an der kommenden WM-Endrunde in Ägypten nicht dabei sein wird. Hatten Sie mit diesem Entscheid gerechnet?
Ich wäre naiv, wenn es für mich überraschend gekommen wäre. Natürlich verfolgte ich die Entwicklung und merkte rasch, dass die Durchführung der Spiele Anfang Juli unrealistisch ist. Ich hoffte, die Partien finden im Herbst statt. Nun entschied sich die EHF anders, sie wählte die schlankste Lösung, dank der die Mannschaften auf den Rängen 5 bis 14 an der EM-Endrunde für die WM qualifiziert sind. Die kleineren Nationen schauen in die Röhre. Wir hatten uns einiges ausgerechnet und sind sehr enttäuscht, die Chance nicht wahrnehmen zu können. Wir wollten unbedingt an die WM, das wäre der logische nächste Schritt gewesen. Es ist eine bittere Pille. Aber im Gesamtkontext kann ich es selbstverständlich einordnen.
Finden Sie es unfair, dass die «Kleinen» in die Röhre schauen?
Es ist Spitzensport. Wir sind dran, uns nach oben zu kämpfen. Wir belegten an der EM den 16. Platz, bezwangen in den letzten zwei Jahren einige starke Mannschaften, darum rechneten wir uns gegen Island eine Chance aus, auch wenn die Isländer der Favorit gewesen wären. So enttäuschend das Ganze ist, es liegt nun an uns, den erfolgreichen Weg fortzuführen und uns der Spitze weiter zu nähern.
Wie schwer fällt es Ihnen, derzeit nicht mit den Spielern arbeiten zu können? Sie sind ja auch bei der «Suisse Handball Academy» in Schaffhausen tätig.
Als Nationaltrainer bin ich es mir gewohnt, die Spieler ein paar Wochen nicht zu haben. Mir fehlt jedoch die tägliche Arbeit mit den Spielern der Academy und das Planen. Ich bin über 30 Jahre im Handball tätig – etwa die Hälfte als Spieler -, habe keine Saison verpasst. Von daher ist es für mich sehr ungewohnt, nicht zu wissen, wann das nächste Training stattfindet, wann das nächste Qualifikationsspiel ist. Das ist ein Zustand, den ich möglichst rasch nicht mehr haben möchte. Ich bin extrem geprägt von der Sportart, sie gibt mir den Jahresrhythmus vor. Ich habe gerne Ziele, die nun natürlich fehlen.
Was ist aktuell möglich, was können die Spieler machen?
Die Nationalspieler sind unter der Kontrolle der Vereine. Die jungen Akteure der Academy beliefern wir mit einem sehr intensiven Athletikprogramm, das sie alleine ausführen. Sie können an Defiziten im Bereich der Beweglichkeit, der Koordination, der Ausdauer arbeiten. Derweil tut es routinierten Spielern wie Andy Schmid oder Alen Milosevic gut, den Körper mal etwas herunterzufahren. Aber natürlich will es niemand so, wie es nun ist, vor allem in dieser Phase der Saison, in der es um alles gegangen wäre.
Sie sind ein sehr kreativer Trainer. Hecken Sie nun Neues aus?
Man macht sich als Trainer immer Gedanken, das lässt einen nie los. Was momentan fehlt, ist die Inspiration von aktuellen Spielen. Der Handball hat sich in den letzten Jahren enorm entwickelt, das sieht man, wenn man alte Partien anschaut. Dazu trugen wir mit unserer Auslegung des Spiels im Angriff und mit unserer variablen Deckung ebenfalls einiges bei. Wir fanden einen Stil, der uns ermöglichte, wieder einmal an einem Grossanlass dabei zu sein, etwas, das vor wenigen Jahren noch weit entfernt war. Es braucht Innovation, man muss stets auf dem neuesten Stand bleiben und seinen Teil zur Entwicklung beitragen.
Die Corona-Krise hat grosse wirtschaftliche Folgen. Haben Sie Angst um den Schweizer Handball?
Ja. Ich habe Respekt vor dem, was kommt. Man muss hoffen, dass die Kurve der Ansteckungen tief bleibt. Wenn es im Verlauf des Sommers oder danach zu einer zweiten Welle kommen würde, dann wird es ganz schwierig für den Sport – nicht nur in der Schweiz. Das Ganze macht einen auch etwas demütig. Man sieht wie schnell alles gehen kann. Es ist für viele unserer Generation die erste grosse Krise. Vielleicht schätzen wir es nun umso mehr, wenn wir wieder unserem Beruf nachgehen, Sport machen, etwas zusammen aufbauen, die Leute begeistern dürfen. Letzteres ist uns in den letzten zwei Jahren oft gelungen. Das fehlt schon.
Haben Sie das Gefühl, dass es nun im Sport zu einem Umdenken kommt, etwas weg von den Extremen?
Ich glaube schon, dass zumindest kurzfristig, einiges relativiert wird. Die Krise wird vor allem auf jene Sportarten einen Einfluss haben, in denen sehr viel Geld vorhanden ist. Mit der ganzen Globalisierung dürfte es jedoch ziemlich bald so weiterlaufen wie zuvor. Ich will mich aber nicht beklagen. Im Spitzensport geht es darum, wer der Beste ist. Von daher sind wir ein Teil des Ganzen. Dennoch haben wir nun etwas Zeit zum Nachdenken, um ein paar Sachen einzuordnen und zu überlegen, was macht wirklich Sinn, was war übertrieben, was sind die wahren Werte. Ich bin überzeugt, dass wir im Handball gestärkt aus dieser Situation herauskommen, denn wir verkörpern sehr viele Werte, wie das gemeinsame Kämpfen für ein Ziel, am gleichen Strang zu ziehen, nicht aufzugeben. Wir erhielten sehr viele positive Rückmeldungen für unsere Auftritte.
Fällt Ihnen aktuell manchmal die Decke auf den Kopf oder gehen Sie das Ganze positiv an?
Ich habe mich selten über etwas beklagt, und das mache ich auch jetzt nicht. In der Schweiz sind wir immer noch sehr privilegiert – in anderen Ländern gab es eine totale Ausgangssperre. (Nationalgoalie) Nikola Portner durfte in Frankreich jeden Tag nur eine Stunde nach draussen und musste jedes Mal ein Formular ausfüllen. Aber natürlich vermisse ich die Arbeit mit den Spielern, das ist klar. Das Ganze hat aber auch positive Seiten. Ich bin ein Familienmensch und konnte nun sehr viel Zeit mit meiner Frau und meinen drei Kindern verbringen. Positiv finde ich auch den entstandenen Zusammenhalt in der näheren Umgebung. Man hilft einander, geht für die alten Leute einkaufen. Das ist sehr wertvoll. Es wäre schön, wenn das so bleiben würde.