Nach schwierigen Jahren stellte das Beachvolleyball-Duo Esmée Böbner und Zoé Vergé-Dépré die gemeinsame Zukunft infrage. Nun ist die Olympia-Qualifikation plötzlich ganz nahe.
Noch vor einem Jahr hatte kaum jemand das Team Esmée/Zoé, so der offizielle Tour-Name, auf der Rechnung, wenn es um die Olympia-Plätze ging. Auch die beiden Athletinnen sprachen zunächst nur im engsten Coachingkreis über das Ziel, an den Sommerspielen teilzunehmen. «Und selbst da kam es uns nur zaghaft über die Lippen», erinnert sich Böbner.
Die 24-Jährige traute den ersten Fortschritten nicht so recht. «Nach einem guten Turnier fragte ich mich: Haben wir uns verbessert? Ist es nur ein Zwischenhoch? Oder steckt das Können nun wirklich in uns?» Inzwischen wissen es die beiden besser: Spätestens in den vergangenen Wochen sind sie mitten in der Weltspitze angekommen. Sie gewannen erstmals ein Turnier auf zweithöchster Stufe und liessen drei Wochen später die erste Medaille (3. Platz) auf höchster Stufe folgen.
Im Olympia-Ranking liefern sie sich mit Anouk Vergé-Dépré und Joana Mäder einen spannenden Zweikampf um den zweiten Quotenplatz an den Sommerspielen – hinter den Europameisterinnen Tanja Hüberli und Nina Brunner. Derzeit haben Esmée/Zoé die Nase vorn. Bis zur Endabrechnung Mitte Juni stehen noch drei Turniere auf dem Programm, diese Woche spielen sie im portugiesischen Espinho. «Wir versuchen, die Rangliste zu ignorieren und einfach unsere Leistung abzurufen», sagt Vergé-Dépré, wohl wissend, dass dies leichter gesagt als getan ist.
Von der Zweckehe zum Erfolgsteam
Seit gut sieben Jahren sind die Luzernerin und die knapp zwei Jahre ältere Bernerin zusammen unterwegs, jedoch hat es gedauert, bis sie sich wirklich als Team verstanden haben. Zu Beginn war es eher eine Zweckehe. Beide waren in ein Sichtungskader aufgeboten worden, aus dem sich die Athletinnen verabschiedeten, bis nur noch sie übriggeblieben waren. Die Herausforderung: Böbner und Vergé-Dépré sind sich physisch recht ähnlich. Ganz am Anfang war nicht einmal klar, wer blocken und wer verteidigen sollte.
Der Anschluss zu den Spitzenteams gelang lange nicht. Einen Tiefpunkt erlebten die beiden in der Saison 2019, als sie fast ausnahmslos in der Qualifikation für Turniere scheiterten – oft schon in der ersten Runde. «Du reist zum Beispiel nach China, spielst etwa 30 Minuten, gehst chancenlos unter und wartest zwei Wochen auf die nächste Möglichkeit», beschreibt Vergé-Dépré den sich damals wiederholenden und äusserst frustrierenden Ablauf. «Wir waren nicht sicher, ob wir in dieser Konstellation unsere hochgesteckten Ziele erreichen können», so Böbner.
Die Wende brachte ausgerechnet die Corona-Pandemie im Jahr 2020. In der Phase, in welcher der Turnierbetrieb komplett heruntergefahren wurde, konnten sich Böbner und Vergé-Dépré mehr auf sich fokussieren. Und dies ganz ohne den sonst permanenten Leistungsdruck. «Wir sind in dieser Zeit als Athletinnen gereift», erinnern sich die beiden. «Und wir haben erkannt, dass wir uns trotz ähnlicher Veranlagungen sehr gut ergänzen und konnten unsere jeweiligen Rollen im Spiel besser annehmen.»
In Konkurrenz mit der Schwester
Das Ergebnis ist beeindruckend. Zuletzt in Brasilia bewiesen Esmée/Zoé neben ihrer generell starken Spielanlage vor allem ihre mentale Stärke. Im entscheidenden Gruppenspiel gewannen sie einen epischen dritten Satz 24:22, im Achtelfinal wehrten sie sechs Matchbälle ab – drei davon in Folge – und im Spiel um Platz 3 behielten sich nach missratenem zweitem Satz im entscheidenden Umgang einmal mehr die Nerven.
Damit liegen Esmée Böbner und Zoé Vergé-Dépré im Olympia-Ranking plötzlich 460 Punkte vor Anouk Vergé-Dépré und Joana Mäder. Ein Duell, das aufgrund der familiären Bande für Schlagzeilen sorgt. Ständig auf ihre sechs Jahre ältere Schwester angesprochen zu werden, findet Zoé Vergé-Dépré «irgendwie verständlich. Es ist ja auch für uns eine ganz spezielle Situation.» Jahrelang seien die Rollen klar verteilt gewesen. Sie war eine der engsten Unterstützerinnen ihrer Schwester. Auch, als Anouk 2021 in Tokio Olympia-Bronze gewann.
Nun ist die Situation anders. Während das Team Esmée/Zoé immer bessere Resultate erzielte, kämpften Vergé-Dépré/Mäder seit der schweren Schulterverletzung Mäders an der WM 2022 in Rom mit der Konstanz. Um mit der Konkurrenzsituation umzugehen, reden die Schwestern, die ihre Freizeit oft gemeinsam verbringen, derzeit «über alles ausser Beachvolleyball». Trotzdem schwebt eine Wolke über ihnen, denn sie wissen genau, dass nur eine von ihnen in Paris spielen wird. Wie es danach weitergeht, lassen die beiden Duos vorerst offen.