Vor 25 Jahren Casartelli stürzt zu Tode: Die fatale Abfahrt in der Königsetappe 

SDA

18.7.2020 - 05:05

Die Königsetappe in den Pyrenäen vom 18. Juli 1995 wurde zu einem der schlimmsten Tage in der Geschichte der Tour de France. Der Italiener Fabio Casartelli starb nach einem Sturz in der Abfahrt.

Es schaudert einen jedes Mal, wenn die Radprofis mit bis zu 100 km/h auf ihren zwei dünnen Reifen zu Tal schiessen. Gar unglaublich muten heutzutage die Bilder aus dem letzten Jahrhundert an, als die Sportler noch ohne Helm fuhren. Trotz des erhöhten Risikos ging die Sache verhältnismässig glimpflich aus – bis der 18. Juli 1995 die Gefahren des Strassen-Radrennsports wieder in den Vordergrund rückte.

Das Unglück geschah im hinteren Teil des Feldes am Col de Portet-d’Aspet, in der Abfahrt nach dem ersten der fünf Anstiege dieses Tages. Der Italiener kam nach 34 km zusammen mit anderen Fahrern in einer Nachzügler-Gruppe in einer gar nicht so engen Kurve zu Fall. Das Bild glich einem Gemetzel. Der Deutsche Dirk Baldinger lag mit einem Beckenbruch da, der Italiener Dante Rezze war ins Tobel hinunter geflogen, einige Fahrer rappelten sich auf und fuhren weiter, aber rasch wurde klar: Um Fabio Casartelli steht es gar nicht gut. Sein Kopf ist blutüberströmt, die Strasse rot gefärbt, der Tour-Arzt kniet neben ihm in der Blutlache.

Casartelli, der Olympiasieger von Barcelona 1992, war kopfvoran in einen Begrenzungsstein der Strasse geprallt. Bereits nach wenigen Minuten wurde der Verunfallte ins Spital von Tarbes geflogen. Im Helikopter erlitt der Italiener dreimal einen Herzstillstand. Casartelli starb 24-jährig.

Die Etappe nahm ihren Fortgang und im Ziel jubelte der unwissende Richard Virenque über seinen Sieg, während die wissenden Organisatoren taktlos die Siegerehrungen abhalten liessen. Am Abend des 18. Juli läuteten in Fabio Casartellis Heimatort Albese nahe der Schweizer Grenze bei Como die Totenglocken.

Casartelli war der vierte Profi, der bei der Tour de France ums Leben kam – bis heute der letzte. Sein Landsmann Adolpho Hilieri (1910 – er starb am Ruhetage bei einem Badeunfall), der Spanier Francisco Cepeda (1935 – er stürzte in der Abfahrt vom Col du Galibier) und der mit einem Cocktail aus Alkohol und Aufputschmitteln vollgepumpte Brite Tom Simpson (1967) waren ebenfalls Tote aus dem Fahrerfeld.

Casartelli hinterliess seine Frau mit dem zwei Monate alten Sohn. Die Fahrer neutralisieren die nächste Etappe, Casartellis Motorola-Team mit Lance Armstrong überquerte die Ziellinie gemeinsam vor dem Feld. Heute erinnert ein Denkmal an das Drama – und wenn möglich, hält die Tour dort kurz zur Erinnerung. Die Begrenzungssteine säumen immer noch über weite Strecken die Passstrasse. Nur am Unglücksort wurden die scharfkantigen Klötze durch ein flaches Mäuerchen ersetzt, in das eine Gedenkplakette eingelassen ist. Ein Bild von Casartelli, das ihn bei der Verleihung der Goldmedaille bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona zeigt, ist dort eingraviert. Das grosse, weisse Denkmal für ihn steht etwa 150 m weiter oben.

Fahrer waren gegen Helmpflicht

Das Denkmal dient aber auch als Mahnmal. Velofahren ohne Helm ist gefährlich. Endgültig eingesehen hat dies der Weltverband UCI 2003. Zuvor hatten sich stets die Fahrer (!) gegen eine Helmpflicht gewehrt. Doch als im März 2003 der Kasache Andrej Kiwilew bei Paris – Nizza auf Grund schwerer Kopfverletzungen starb, führte die UCI im Mai desselben Jahres endlich das Obligatorium ein.

Zunächst durften die Profis ihre Helme bei einer Bergankunft abnehmen. Mittlerweile wurde auch diese Sondergenehmigung gestrichen und es gilt die vollständige Tragpflicht für alle Fahrer bei allen UCI-Rennen. Die Frage, ob Casartelli mit Helm überlebt hätte, ist müssig. Sein Tod ruft aber immer wieder ins Gedächtnis, wie lebensgefährlich das rasende Geschäft auf den dünnen Pneus sein kann.

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