Besuch des Olympia-Bobkanals «Wir kamen uns vor wie auf einer Marsmission»

ck, sda

14.10.2021 - 05:31

Die Bobszene macht derzeit mit Blick auf die Olympischen Spiele im Februar erste Bekanntschaft mit dem neuen Bobkanal in Peking. Die Schweizer Teams fühlen sich dabei fast wie Ausserirdische.

ck, sda

Das gab es noch nie. Nur vier Monate vor den Olympischen Winterspielen tasten sich die besten Bobfahrerinnen und -fahrer der Welt erstmals an die neue Bahn heran. Grund ist natürlich das Coronavirus. Deswegen fiel das Weltcup-Finale im März aus – und deswegen ist es nun auch ein Trainingslager unter ganz speziellen Vorzeichen.

Bobbahn vom Feinsten

Gut drei Wochen verbringen die Schweizer und die weiteren ausländischen Teams, die sich die horrend hohen Kosten leisten konnten, im Reich der Mitte. Die neue Anlage in Yanqing, einem Aussenbezirk rund eine Stunde vom Zentrum entfernt, ist gigantisch. «Es ist fast unglaublich, was sie hier hingestellt haben», schwärmt Rico Peter, ehemaliger Spitzenpilot und nun Sportartenchef Bob beim Verband Swiss-Sliding. Die ganze Bahn sei überdacht. «Man kann sogar auf dem Dach der Bobbahn gehen und die Aussicht und Sonne geniessen.»

Natürlich sind die Schweizer aber nicht dafür in China, sondern um den neuen Kurs so gut wie möglich kennenzulernen. Insgesamt 25 Personen sind nach Yanqing gereist, die Piloten Michael Vogt, Simon Friedli, Michael Kuonen, Martina Fontanive und Melanie Hasler, elf Anschieber sowie sechs Betreuer vom Coach bis zum Mechaniker. Dazu kommen die Skeletoni Marina Gilardoni und Ronald Auderset mit ihrem Bahntrainer Ivo Pakalns.

Alleine die Flüge kosteten über 90'000 Franken, dazu kommen die massiv gestiegenen Transportkosten für das Material. Der Schweizer Verband Swiss-Sliding kann den Aufwand dank der Corona-Gelder vom Bund stemmen. «Sonst hätten wir keine Chance gehabt», erklärt Sportchefin Fabienne Meyer.

Hermetisch abgeriegelt

Bereits die Anreise Anfang letzter Woche war abenteuerlich und aufwändig. Fast 45 Stunden waren die Schweizer unterwegs, ab Frankfurt mit einem von zwei Charterflügen für alle Bob-Delegationen, denn nur so konnte die eigentlich obligatorische, 21-tägige Quarantäne umgangen werden. Die Chinesen nehmen das Virus äusserst ernst. «Bereits im Flugzeug kamen wir uns vor wie auf einer Marsmission», erzählt Michael Vogt. Sämtliches Kabinenpersonal war in Schutzanzüge gekleidet. Und bei der Einreise in Peking «wurden wir nicht nur getestet, sondern regelrecht desinfiziert. Wir fragten uns, ob man uns vielleicht mit Ausserirdischen verwechselt», wundert sich der 23-jährige Schwyzer.

Selbstverständlich bewegen sich die Bobcracks auch im Training in einer hermetisch abgeriegelten Blase zwischen Bobbahn und Hotel. Der Bus wird jeweils von einer Polizeieskorte begleitet. Es dürfte ein Vorgeschmack auf die Verhältnisse bei Olympia sein. Die Trainingsbedingungen sind aber top – und die Schweizer machen das Beste daraus. «Wir haben in der Tiefgarage einen Kraftraum eingerichtet und gehen regelmässig nach draussen zum Joggen oder Sprinten auf der benachbarten 400-m-Laufbahn», berichtet Vogt. Selbst das Essen schmecke besser als befürchtet.

Sehr speziell und einzigartig

«Uns geht es gut», meldet Rico Peter. «Und wir haben noch viel Arbeit in der Bahn, um eine gute Linie zu fahren.» Diese Bahn mit 16 Kurven bezeichnet der WM-Dritte von 2016 im Viererbob als «sehr speziell und einzigartig». Sie sei nicht «sturzgefährlich», aber «sehr selektionierend in vielen Kurven, Geraden und Schikanen». Einen Zufalls-Olympiasieger wird es im kommenden Februar also wohl kaum geben, und da die Chinesen im Bobsport weit von der Weltspitze entfernt sind, sollte auch ihr immenser Trainingsvorteil keine entscheidende Rolle spielen.

Ausser Michael Kuonen, der nur mit dem Zweier vor Ort ist und früher zurückkehrt, werden die Schweizer bis am 26. Oktober in China weilen. Am 20. November beginnt dann in Innsbruck die Weltcupsaison, die am 16. Januar mit der Europameisterschaft in St. Moritz zu Ende geht.